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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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das Böse ! und warfen ihn von sich. Aber
meinten sie damit wirklich, daß der Stein böse war? Können sie an etwas
anderes gedacht haben? Es besteht zumindest eine Möglichkeit, und sie steht im
Zusammenhang mit der Form des Steins .« Die Form? Ich
versuchte, mich an die Worte von Ssu-ma zu erinnern: »... glatte Fläche steigt
zu runder konkaver Schalenform an ...« Was hatte das mit böse zu tun?
»Aber Tou Wan erzählt, der Stein hat ihren Gemahl zum Wahnsinn getrieben«,
sagte Mondkind, »weist das nicht darauf hin, daß der Stein böse war ?«
    »Nein«, sagte Meister Li
entschieden, »ihre Worte machen es völlig klar. Die dem Stein innewohnende
Macht verführte den Lachenden Prinzen dazu, ihn für die lächerlich gefähr-liehe
Übung einzusetzen, die man den Idealen Taoistischen Atem nennt. Das Endziel ist
die persönliche Unsterblichkeit - und das beschwört immer Unheil herauf. Man
liegt auf dem Rücken, preßt die Zunge an den Gaumen, um den Gehirntau
aufzufangen, wie die Taoisten den Speichel nennen. Normalerweise drückt man mit
dem Mittelfinger der einen Hand gegen die Handfläche der anderen. Aber ich
vermute, daß der Lachende Prinz seine Finger an den C/zz-Puls des Steins
gedrückt hat. Man atmet ein, hält die Luft dreißig Sekunden, reinigt sie, indem
man tropfenweise Gehirntau freisetzt und schickt sie durch
Brustkorb und Herz. Das ist die sogenannte Kleine Reise. Mit jedem Mond hält
man den Atem fünf Sekunden länger an, und wenn es einem hundertfünfzig Sekunden
lang gelingt, ist man für die Große Reise bereit .« »Es
kann gefährlich sein, den Atem zweieinhalb Minuten anzuhalten«, sagte Mondkind.
    »Es wird einem schwindlig,
und man verliert die Orientierung«, sagte ich. »Wenn man es öfter macht, kann
das Gehirnschäden zur Folge haben .«
    »O ja«, stimmte Meister Li
mir zu, »aber das ist erst der Anfang. Die Große Reise bedeutet, daß man die
gereinigte Luft durch Brustkorb, Herz, Magen, Leber, Nieren und Genitalien
schickt und auch weiterhin jeden Mond den Atem fünf Sekunden länger anhält. Hat
man tausend Sekunden erreicht, entsteht im Körper angeblich etwas, das
Embrioni-sche Perle genannt wird, und das ist ein göttliches Lebenselixier .«
    »Lebenselixier? Dann ist
man tot !« rief ich. »Nicht unbedingt. Der Körper ist
zu erstaunlichen Dingen fähig«, sagte Meister Li. »Das Problem ist das Gehirn.
Es braucht ständige Zufuhr frischer Luft, und der Lachende Prinz wurde
wahnsinnig .«
    Ich sah den Lachenden
Prinzen vor mir, der den Stein umklammerte und den Atem länger und länger
anhielt, bis die Ärzte schließlich den Kopf schüttelten und befahlen, daß man
den Wolkengong schlug, um den Tod des Prinzen zu verkünden, und dann wurde er
lebendig begraben. Ich sah einen wahnsinnigen Prinzen, der in Dunkelheit
gehüllt im Grab liegt, den Stein umklammert und den Atem anhält, während die
Jahrhunderte vergingen. Ich sah, wie er die Augen aufschlug, wie sich der
Deckel seines Sarkophags öffnete und ein Wahnsinniger in einem Jadegewand dem
Grab entstieg. Ich sah einen Schatten im Mondlicht, und Klagende
Morgendämmerung auf dem Krankenlager... »Ochse, jetzt bist du an der Reihe«,
sagte Meister Li. Damit riß er mich in die Wirklichkeit zurück. Ich hatte
geglaubt, die graue Ebene sei glatt und problemlos. Aber das war ein Irrtum.
    »Hat einer von euch
zufällig einen Blick zurückgeworfen, als wir in der Hölle angekommen sind ?« fragte Meister Li. Wir hatten es beide nicht getan.
    »Das Tor hat sich hinter
uns geschlossen und ist verschwunden. Es ist nur noch eine nackte kahle
Felswand dort«, sagte er. »Das heißt, uns bleibt nur ein Weg, um aus der
Unterwelt herauszukommen: das Große Rad der Wandlungen. Und dazu müssen wir die
Zehnte Hölle erreichen .« Vor uns lag die
Yin-Yang-Schlucht, über die sich ein dickes Seil spannte. Wir standen am Rand
und spähten hinunter. Der Abgrund schien bodenlos zu sein. »Was meinst du ?« fragte Meister Li.
    Die Dämonen haben niedere
Diener, die Raksha heißen. Einige Rakshas trugen große Wassereimer an den Enden
langer Holzstangen, und ich sagte: »Meister, ich meine, die beiden Aristokraten
sollten den frechen Bauern prügeln und ihn bestrafen, indem sie ihm eine
Holzstange auf die dummen Schultern legen .«
    Die Dämonen schienen es
gutzuheißen, daß Meister Li und Mondkind mich verprügelten. Sie erhoben keine
Einwände, als der grimmige alte Würdenträger einen Raksha herbeirief und ihm
die Holzstange von den

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