Meister Li und der Stein des Himmels
der Hand eines Heiligen alle Wunden heilen,
in der Hand Eures Gemahls jedoch alles Heile zu Wunden machen könnte, wenn Ihr
mir diese spitzfindige Formulierung vergebt.«
»Immer besser und besser,
alter Mann«, sagte Tou Wan. Sie schloß die Augen. Auf ihren Lippen bildete sich
Eis. Ich dachte, sie habe das Gespräch beendet, aber dann erschauerte ihr
Körper, zuckte, und das Eis auf ihrem Mund barst.
»Der Stein gehörte ihm
nicht... er hat ihm nie gehört. Er gehörte mir... ein Liebhaber hatte ihn mir
geschenkt... meine Liebhaber haben mir immer etwas geschenkt... Mit zehn ließ
ich einen Jungen in dem Glauben, er habe mich verführt. Er schenkte mir die
Ringe seiner Mutter... ein hübscher Junge und so leicht abzurichten wie ein
Hund ... leg dich! Sitz!... Sein Vater kam, um die Ringe zurückzuholen, und ich
habe ihn ebenfalls abgerichtet... Platz! Mach Männchen! ... Ich führte ihn an
einer Leine, die nur Frauen sehen. Oh, wie sie mich haßten, diese Weiber... Er
machte mich zu seiner Frau Nummer Sieben, und ich überredete ihn und seinen
hübschen Sohn, in einen Krieg zu ziehen, in dem sie mit Sicherheit fallen
würden... Hsu der Rechtsanwalt und Kung-sun der Richter... Leg dich! Sitz!
Platz! Mach Männchen! ... ich habe die anderen Frauen auf die Straße gesetzt,
und dann kam Yi Shou, der Kaufmann mit seinen Juwelen und Kutschen, gefolgt von
Gouverneur Kuo mit seinen Häusern und dem Landbesitz. Sie lagen mir wie brave
kleine Hunde zu Füßen und bettelten darum, gestreichelt zu werden ... Prinz Liu
Sheng konnte ich nicht abrichten, aber er schenkte mir eine Krone ... sein
Haushofmeister hat mir den Stein geschenkt... der Stein... ich drückte ihn an
meine Haut und spürte sein Pulsieren ... mein Gemahl hat ihn mir gestohlen, und
der Stein trieb ihn zum Wahnsinn. Er wurde wahnsinniger, als ich für möglich
gehalten hätte ... die Kleine Reise, die Große Reise, tausend Sekunden, die
Embrioni-sche Perle, töten, töten, töten, töten, töten!... Ssu-ma
hat den Stein zerschlagen, und mir blieb nur der Splitter für meine
Haarnadel... Diese Zofe... immer hat sie ihn angesehen, immer wollte sie ihn
haben, immer hat sie versucht, ihn zu stehlen. .. Ich wollte sie erstechen,
aber sie rannte mit meinem Stein davon .. . meine Zofe
und diese Konkubine mit dem Upuaut-Ring, den mein Gemahl ihr geschenkt hatte...
Die Soldaten haben sie getötet, aber sie konnten den Stein nicht finden... er gehörte
mir, nicht nur der Splitter, sondern der ganze Stein... Mein Gemahl weigerte
sich, mir ein zweites Stück zu geben... er lachte und zeigte mir ein zärtliches
Gedicht für meinen Sarg. Dann mußte ich Gift trinken ... Muntere Mönche im
Narrenkleid tanzten lachend um mein Bett... kalt... kälter... Nebel, das
Geräusch von Wasser, Diener der Hölle, die mich in eine graue Welt zerrten, die
Yamakönige, frieren, frieren, frieren...« Tou Wan öffnete die Augen. Sie sah
mich an. »Du wärst ein braver kleiner Hund geworden, Bauernjunge .« Ihre Augen wurden groß und fragend, als sie sich auf
Mondkind richteten. »Dich hätte ich angebetet .« Ihre
Augen glitten zu Meister Li.
»Euch hätte ich weder
anbeten, noch hätte ich Euren Willen brechen und Euch abrichten können«, sagte
die Prinzessin. »Alter Mann, ich fürchte mich vor Euch, geht !« Meister Li verneigte sich, und Mondkind und ich folgten seinem Beispiel. Tou
Wan fielen die Augen zu, und ihr Mund schloß sich mit einem harten Klicken. Ich
hielt den Schirm hoch über unsere Köpfe, und wir gingen weiter. »Welch eine
außergewöhnliche junge Frau«, sagte Meister Li bewundernd, »der Ausdruck so
zäh wie Tou Wan muß allgemein bekannt werden. Wir sollten versuchen, die
Sache mit dem Eisbett zu regeln .«
19.
Wir wanderten über eine
weite graue Ebene, die zu den hohen grauen Mauern der Sechsten Hölle führte.
Graues Gras neigte sich im kalten grauen Wind, und der graue Himmel schien uns
zu erdrücken.
»Meister Li, das mit dem
Stein verstehe ich nicht«, sagte ich. »Ist er nicht böse? Ssu-ma glaubte es,
und er schrieb, der Verfasser der Roten Kammer habe aus den Annalen von
Himmel und Erde zitiert .«
Meister Li schritt stumm
weiter. Nach einer Weile sagte er: »Ochse, wir können nicht sicher sein, daß
die legendären Annalen tatsächlich etwas damit zu tun haben. Aber wir wissen,
daß sowohl Ssu-ma als auch Tsao Hsueh Chin die Reaktionen zweier großer Männer,
die den Stein besaßen, als Beweis dafür ansahen. Lao Tzu und Chuang Tzu riefen:
Er ist
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