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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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würden
mich in die Achte Hölle schicken. Und das wäre das unvorstellbare Grauen .«
    »Du solltest sehen, was
diese Kerle China antun«, sagte Meister Li düster, »neulich habe ich geträumt,
du wärst wieder Hofarzt, und ich war seit Jahren nicht mehr so glücklich .« Es war schwierig, sich unter seinen Umständen würdevoll
aufzurichten, aber der Dicke versuchte es. »Meine Patienten sind nicht alle
gestorben«, erklärte er beleidigt, »manche konnten sogar wieder gehen. Ein oder
zwei brauchten nicht einmal Krücken !«
    »Waren es die, die du gegen
Erkältung behandelt hast ?« »Erkältungen oder Pickel.
Der Arzt kann nichts dafür, wenn ein Patient verrückt genug ist, mit einem
Wehwehchen zu kommen«, sagte der Dicke nicht unvernünftig. »Du warst ein Arzt,
wie man ihn unter einer Million nur einmal trifft«, sagte Meister Li herzlich,
»wer sonst hätte Arsen gegen Schluckauf verschrieben ?« »Es hat geholfen !«
    »Keiner der Patienten ist
in der Lage, es zu bestreiten«, sagte Meister Li vieldeutig, »aber ich bin
nicht gekommen, um mir medizinische Ratschläge zu holen. Erinnerst du dich an
unsere Wanderung durch Tungan? Es muß vor achtzig oder neunzig Jahren gewesen
sein. Und ich habe den Punkt erreicht, an dem mein Gehirn dem Zeug ähnelt, in
dem du begraben bist. Ich kann mich nur noch an ein Mädchen auf einem roten
Sampan erinnern .«
    Die Verwandlung war
erstaunlich. Das schlaffe Fett schien aus dem Gesicht des Dicken zu schwinden,
und ich erkannte, daß er einmal ein fröhlicher, recht gut aussehender junger
Mann gewesen war.
    »Erinnerst du dich auch
noch an sie ?« fragte er leise. »Li Kao, es vergeht
kein Tag, an dem ich nicht an dieses Mädchen denke. War das nicht eine schöne
Zeit? Sie hat Herbstnächte gesungen und Reiskuchen ins Wasser geworfen
und gelacht, wenn wir wie Enten danach tauchten. Bei den Göttern, ich hoffe,
sie hat es geschafft, in den Himmel zu kommen .« »War
da nicht ein Fest ?« fragte Meister Li. »Ein
ausgelassenes Fest in einem Dorf. Masken und Trommeln, Affentänze, und dieser
große Bauer, dem du ein blaues Auge geschlagen hattest, hob dich hoch und krönte dich zum König der Flöhe. Wir waren eine Woche lang
betrunken, und zum Abschied schenkten sie uns Essen und Blumen .« Er blickte auf seine Grube hinunter. »Es war wunderbar,
jung zu sein«, flüsterte er.
    Meister Li schärfte uns
ein, nach Dämonen Ausschau zu halten, während er sich hinunterbeugte und den
Weinschlauch an die Lippen des Dicken setzte. Es war lange her, seit er zum
    letzten Mal so ein
Tröpfchen getrunken hatte, und er hatte einen beachtlichen Zug am Leib.
»Buddha, ist das köstlich! Haininger Bergtau?« »Der beste«, sagte Meister Li,
»du warst damals ein begeisterter Botaniker. Und ich glaube, mich zu erinnern,
daß wir quer durch das Land gewandert sind, nachdem wir uns von dem Mädchen auf
dem Sampan verabschiedet haben. Wir kamen an einem Tempel oder einem Kloster
vorbei, und als wir in die Berge stiegen, hast du etwas entdeckt...« »Den
Bombay-Stechapfel !« rief der Dicke, »wie konnte ich
das vergessen? Die Entdeckung eines Lebens, und ich hatte immer vor, noch
einmal zurückzugehen. Aber irgendwie kam immer wieder etwas dazwischen, und ich
habe es nie geschafft .«
    »Würdest du ihn
wiederfinden ?« fragte Meister Li. Der Dicke sah ihn
plötzlich hellwach an. »Das ist es also. Du brauchst einen Bombay-Stechapfel,
nicht wahr? Eine gefährliche Sache, Li Kao. Du warst schon immer in die
verrücktesten Dinge verwickelt, und wie du es schaffst, am Leben zu bleiben,
ist eines der größten Geheimnisse .« Meister Li beugte
sich wieder mit dem Weinschlauch nach unten.
    »Was sind wir doch für ein
Gespann«, sagte der Dicke, als er wieder Luft bekam. »Ich will verdammt sein,
wenn du den Verstand verloren hast. Ich bin vielleicht ein Sünder, aber zumindest
weiß ich, daß es nicht schön ist, wenn man Kindern oder Verrückten ihr
Spielzeug wegnimmt. Also, wenn ich den einzigen Bombay-Stechapfel wollte, den
ich je in China gesehen habe, würde ich etwa zwei Meilen hinter dem Kloster der
Weißen Wolke zu dem Punkt gehen, an dem die Hügel bis zur Straße heranreichen.
Dann würde ich nach Osten gehen und bergauf klettern - über Geröll, gefolgt von
Granit, gefolgt von einem schwarzen Felsen, und nach dem schwarzen Felsen würde
ich eine Lichtung vor einer Felswand erreichen. Ich würde mir einen Weg durch
das Dickicht bahnen. Direkt unterhalb der Felswand befindet sich noch

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