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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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eine
winzige Lichtung, und in der Mitte steht der Bombay-Stechapfelbaum, falls ihn
nicht inzwischen jemand abgehauen hat, um Feuer damit anzuzünden, und danach
seine Familie und alle Nachbarn umgebracht hat .«
    Sein Blick richtete sich
auf Mondkind und mich. »Hat die Sache etwas mit der Schönen und dem Untier zu
tun, hm? Sei vorsichtig, Li Kao. Hier ist der harmlose Teil der Hölle. Später
wirst du einen besseren Passierschein als einen Standesschirm brauchen .«
    Meister Li verneigte sich
zum Abschied. »Du weißt, die Yamakönige sind streng, aber gerecht«, sagte er,
»gute Absichten können schlechte Folgen zumindest teilweise ausgleichen. Das
Große Rad wartet geduldig. Wer weiß? Nach ein paar Inkarnationen als Insekt
oder Tier fährst du vielleicht in einem roten Sampan auf dem Yangtse .« Der Dicke blickte mit verzweifelter Hoffnung in den Augen
auf. »Du kannst doch unmöglich einen Blick in das Seelenregister geworfen
haben«, flüsterte er.
    Meister Li zwinkerte ihm
zu. Wir machten uns auf den Weg. Als letztes sah ich, daß der Dicke bei dem
Gedanken, als Sampanmädchen wiedergeboren zu werden, vor Freude weinte und
vorsorglich bereits Herbstnächte übte. Die Qualen der Dritten und
Vierten Hölle sind ebenfalls relativ harmlos und Sündern wie schlechten
Bürokraten, Verleumdern, Fälschern, Falschmünzern, Geizhälsen, unehrlichen
Kaufleuten und Lästermäulern bestimmt. Ernst wird es erst in der Fünften Hölle,
wo Mörder, Ungläubige und Lüstlinge bestraft werden. Ich will nicht versuchen,
die Kessel mit kochendem Öl zu beschreiben, die Gruben mit geschmolzenem Blei,
die rotglühenden Eisenrohre, den Hügel der Messer und die Säge. Meister Li
erzählte mir, daß mit Ausnahme der tibetischen die meisten Kulturen an solche
Dinge glauben und daß die Yamakönige nicht beabsichtigen, die Greuel zu
übernehmen, mit denen man in der tibetischen Welt der Schatten rechnet.
    Nach den Angaben im
Seelenregister war Tou Wan nicht wegen Mord und Folter verurteilt worden,
sondern wegen Ausschweifungen und Wollust. In der Fünften Hölle gibt es für
solche Sünder Betten, in denen sie sich abkühlen können. Wir gingen Reihen von
Betten entlang, die aus Eisblöcken bestanden, an die Sünder mit gefrorenen Eisenketten
gefesselt waren. Die nackten Körper zitterten unablässig, und das Geräusch
krachender Gelenke erfüllte die Luft. Wir fanden die Gemahlin des Lachenden
Prinzen in der fünfzigsten Reihe.
    Ich war auf ihre Jugend und
Schönheit nicht gefaßt. Wie die anderen zuckte und zitterte sie auf dem
Eisblock, an den sie mit Eisenketten an Hand- und Fußgelenken geschmiedet war,
aber sie gab keinen Schmerzenslaut von sich, und ihre Augen standen offen,
während bei anderen dicke gefrorene Tränen die Lider verklebten. Meister Li
verneigte sich tief.
    »Prinzessin, ich hoffe, Ihr
werdet unser Eindringen verzeihen«, sagte er, »wir hatten gehofft, Euren edlen
Gemahl sprechen zu können, aber er scheint nicht verfügbar zu sein .«
    Ihre Lippen öffneten sich
mit dem Geräusch von splitterndem Eis. »Nicht verfügbar?«
    »Irgendwie ist es ihm
gelungen, die Diener der Hölle zu überlisten. Habt Ihr eine Ahnung, wie ?« Es gelang ihr, ironisch zu lachen, und ich fand, sie sei
der zäheste Mensch, der mir je begegnet war. »Sie hätten seine Seele im Stein
suchen sollen«, sagte sie. »Der Stein !« rief Meister
Li, »wohin wir auch gehen, wir begegnen immer wieder Hinweisen auf diesen
Stein. Seid Ihr vielleicht so freundlich, mich darüber aufzuklären ?« Tou Wans Stimme war so kalt wie das Eis, auf dem sie lag.
»Ratet, wenn Ihr wollt. Wenn Ihr richtig ratet, werde ich vielleicht eine oder
zwei Fragen beantworten .« »Ich rate, daß der Stein in
drei Stücke zerbrochen wurde. Das größte Stück wurde in einem Schrein
aufbewahrt. Euer Gemahl hat das zweitgrößte als Amulett getragen, und der
    kleinste Splitter wurde zur
Spitze Eurer Haarnadel«, sagte Meister Li.
    »Gut geraten, alter Mann«,
sagte die Prinzessin. »Ssu-ma Chien, dieser Dummkopf, der sich in alles
einmischen mußte, hat ihn zerschlagen. Und seine Vermutungen stimmten nicht
einmal zur Hälfte. Er nannte ihn den Stein des Bösen, und dieser Irrtum hat ihn
die Eier gekostet. Wie würdet Ihr den Stein nennen, alter Mann ?«
    Meister Li betrachtete sie
nachdenklich. »Ich würde ihn nicht als böse bezeichnen, und ich würde ihn nicht
als gut bezeichnen«, sagte er langsam, »ich würde sagen, er ist eine
konzentrierte Lebenskraft, die in

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