Meister Li und der Stein des Himmels
dem Herrn des Regens und dem Herrn des Donners und dem Fürsten der Winde
und dem Kleinen Jungen der Wolken !«
»Geeh - geeh - geeh - geeh
- geeh !« riefen die Scheinheiligen etwas
zuversichtlicher.
Im Schutz der Menge beugte
sich Meister Li zum Schloß der Pforte hinunter. Seine Heiligkeit übertönte
dankenswerterweise das Geräusch des Dietrichs.
»Ich bete zum Großen
Herrscher des Östlichen Gipfels! Ich bete zur
Prinzessin der
Quellwolken! Ich bete zu Kuan-yin und Kuan-ti und den Acht Unsterblichen! Ich
bete zu Dame Pferdekopf und dem König der Ochsen, zum Transzendenten Schwein,
zum Hirseprinzen und Fan K'uei, dem Schutzpatron der Schweineschlächter !« »Geeh - geeh - geeh - geeh - geeh !«
Das Schloß sprang auf, wir
schlüpften durch die Pforte und schlössen sie hinter uns. Das Geschrei
verstummte allmählich, während die langen Schlangen sich dem Palast näherten.
Wir sahen eine Reihe kleiner ummauerter Gärten, die durch verschlossene
Gittertore voneinander getrennt waren. Sieben davon mußten wir durchqueren, um
den Palast von der Seite her zu erreichen. Meister Li fluchte leise, als er
sich das nächste Schloß vornahm. Keiner der Dietriche hatte die richtige Größe,
und er mußte mit unendlicher Vorsicht und Geduld ans Werk gehen. Schließlich
sprang auch dieses Schloß auf, und wir rannten durch den nächsten Garten. Das
Schloß der Tür zum dritten Garten ließ sich leichter öffnen, aber am nächsten
wäre Meister Li beinahe gescheitert. Er brach zwei Dietriche ab und versuchte
gerade, das Schloß mit einem dritten aufzuhebein, als wir das Knirschen
schwerer Schritte auf dem grauen Kies hörten. Es klang, als nähere sich ein
Elefant. Mondkind schlich durch das Gebüsch zurück, um nachzusehen.
»Geschafft«, flüsterte Meister Li.
Das Tor ging auf. Wir
ließen es für Mondkind offen und eilten durch den Garten zum vierten Tor. Das
Knirschen der Schritte war verstummt. Dann hörte ich ein Geräusch, bei dem mir
die Haare zu Berge standen.
Ein Dämon schnüffelte
zornig, weil er Menschenfleisch roch. Das Geräusch mußte von einem
schrecklichen Riesen kommen. Wir hörten ein Knurren, das wie gedämpftes
Donnergrollen klang. Meister Li arbeitete wie wild an dem Schloß, aber es war
wieder schwierig. Die Schritte kamen näher, und ich wußte, wir würden es
diesmal nicht schaffen. Ich bewaffnete mich mit einem großen grauen Stein und
schlich im Schutz der Büsche zurück. Als ich die Zweige teilte und
hinausspähte, mußte ich einen Entsetzensschrei unterdrük-ken.
Dieser Dämon hätte selbst
den großen Ehr-lang in Angst und Schrecken versetzt. Er war mindestens zehn Fuß
groß. Seine Muskeln wirkten wie übereinandergepackte Stahlstäbe; seine Klauen
konnten Tiger zerreißen, seine Hauer hätten von einem dieser Wesen stammen
können, die man gefroren in mongolischen Gletschern findet. Die Nüstern
schnupperten wütend, und in den roten Augen brannte die Blutgier. Ich war
gelähmt. Während ich wie eine Statue in den Büschen stand, entdeckte ich
plötzlich, daß ich nicht allein war. Mondkind hatte sich auf der anderen Seite
fast völlig im grauen Laub versteckt. Er holte tief Luft und warf sich in die
Brust. Noch zehn Schritte, und das Ungeheuer würde eine freie Stelle erreichen,
von der es das Tor und Meister Li sehen mußte. Mondkind schlenderte ihm lässig
auf dem Gartenweg entgegen. Der Dämon starrte ihn an. Die Fangzähne glitzerten.
Die Klauen hoben sich zum tödlichen Schlag. Mondkind lächelte - der graue Himmel
öffnete sich, und ein blauer Fleck erschien. Mondkind lächelte betörender -
zwei graue Blumen bemühten sich, rosa Blüten hervorzubringen. Mondkind streckte
den Arm aus und kraulte das schreckliche Wesen am Kinn.
»Komm her, Süßer«, gurrte
Mondkind und führte den Dämon zurück in die Büsche.
20.
Es dauerte lange, bis
Meister Li das vierte und das fünfte Schloß geöffnet hatte. Er mühte sich
gerade mit dem sechsten ab, als wir hinter uns ein Geräusch hörten. Ein
hübscher junger Mann hinkte den Gartenweg entlang. Er war blaß, schwach und
zittrig, aber es gelang ihm, anmutig die Hand zu heben. »Die Hölle«, sagte er,
»wird zu sehr verteufelt. Ich muß unbedingt öfter hierherkommen .« Ich huldigte ihm mit drei Verneigungen und neun Kotaus.
»Bei Buddha, das Ding dieser göttlichen Kreatur erinnert mich an den
kaiserlichen Fahnenmast beim Begräbnis von General Ching«, erzählte Mondkind
fröhlich. »Beeilen wir uns. Der liebe Kleine kann jeden
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