Meister und Margarita
betreten, zusammen mit dem Häftling Ha-Nozri, weil dieser – wie er behauptet – damals etwas nicht zu Ende gesprochen hat – vor langer Zeit – am vierzehnten Tage des Frühlingsmonats Nisan. Doch bedauerlicherweise gelingt es ihm nie, diesen Pfad zu betreten, auch kommt niemand zu ihm. Was bleibt ihm also? Nur Selbstgespräche. Freilich bedarf es auch da einer Abwechslung, weshalb er seine Rede über den Mond des Öfteren mit den Worten ergänzt, seine Unsterblichkeit sei ihm verhasst wie auch seine unerhörte Berühmtheit. Er versichert, er tauschte nur zu gern mit dem lumpigen Landstreicher Levi Matthäus.
– Zwölftausend Monde für einen Mond – irgendwann – in der Vergangenheit – ist das nicht ein wenig zu viel? –, fragte Margarita.
– Wiederholt sich jetzt die Geschichte mit Frieda? –, sagte Woland. – Nun machen Sie sich keine Sorgen, Margarita. Es wird alles so sein, wie es eben sein soll – das ist nun mal der Lauf der Welt.
– Lassen Sie ihn frei! –, schrie Margarita plötzlich auf, schrill, wie sie schrie, als sie Hexe war. Von dem Schrei löste sich ein Stein und polterte in den Abgrund, den Hang hinunter, mit lautem Gedonner die Berge erschütternd. Aber war es ein Gedonner des rollenden Steins oder ein Gedonner des satanischen Lachens? Wie dem auch sei, Woland lachte und sah Margarita dabei an:
– Sie sollten in den Bergen nicht schreien. Er ist sowieso an Lawinen gewöhnt und wird sich darob wohl kaum erschrecken. Und Sie, Margarita, müssen nicht für ihn sprechen, denn er hat bereits einen Fürsprecher gefunden – in jenem, mit dem er zu reden begehrt. – Woland wandte sich abermals dem Meister zu: – Nun denn, Sie können jetzt Ihren Roman mit einem einzigen Wort beenden!
Der Meister – ihm brannte es unter den Nägeln, während er dastand und regungslos den sitzenden Statthalter betrachtete. Er legte die Hände zum Sprachrohr zusammen und rief so laut, dass der Widerhall über die unbewohnten und unbewaldeten Berge hüpfte:
– Du bist frei! Du bist frei! Er wartet auf dich!
Die Berge verwandelten die Worte des Meisters in Donner, und just dieser Donner zerbrach sie. Die fluchbeladenen Felswände stürzten. Es blieb nur die Fläche mit dem steinernenSessel. Über dem schwarzen Abgrund, in welchen die Wände hinabgesackt waren, entbrannte die unermessliche Stadt mit den sie beherrschenden strahlenden Götzen – oberhalb des in vielen Tausenden Monden prächtig gewachsenen Gartens. Und zu diesem Garten erstreckte sich der seit Langem ersehnte mondene Pfad, den als Erster der Hund mit den spitzen Ohren hinauflief. Auch der Mann im weißen Gewand, blutig umbordet, erhob sich vom Sessel und rief irgendetwas mit heiserer angeschlagener Stimme. Was rief er? War das ein Weinen? Ein Lachen? Jedenfalls eilte er Hals über Kopf seinem treuen Gefährten nach.
– Muss ich mit? Ihm hinterher? –, fragte besorgt der Meister und ergriff die Zügel.
– Aber nein –, erwiderte Woland, – wozu dem nachjagen, was zu Ende ist?
– Also dorthin –, wollte der Meister wissen und wandte sich um und wies zurück. Dort verdichtete sich gerade die erst kürzlich verlassene Stadt – mit den Lebkuchentürmen des Klosters und der im Glas zerschmetterten Sonne.
– Auch nicht –, antwortete Woland. Seine Stimme wurde tönender und strömte über die Gipfel der Berge. – Romantischer Meister! Jener, welchen der von Ihnen erdachte und nunmehr freigesprochene Held so sehnsüchtig treffen möchte, hat Ihren Roman gelesen. – Da wandte sich Woland an Margarita. – Margarita Nikolajewna! Ohne Zweifel haben Sie keine Mühe gescheut, um für den Meister die denkbar beste Zukunft zu ersinnen. Aber das, was ich Ihnen anempfehle und was Jeschua für Sie – für Sie! – erbat, ist weitaus besser. Lassen Sie die beiden ruhig allein –, sagte Woland, beugte sich herab von seinem Sattel zu dem Sattel des Meisters und zeigte auf den sich entfernenden Statthalter. – Wir wollen sie nicht stören. Und – wer weiß – vielleicht sind sie irgendwann einer Meinung? – Er winkte in Richtung Jerschalajim, und die Stadt wurde ausgeknipst.
– Und auch nicht dorthin … –, Woland wies rückwärts. – Was haben Sie in einem Kellerloch verloren? – Jetzt erlosch die zerbrochene Sonne im Glas. – Was, um alles in der Welt? –, sprach er überzeugend und sanftmütig weiter. – Oh, dreifach romantischer Meister! Sie lehnen es ab, tagsüber mit Ihrer Gefährtin zu lustwandeln? Unter
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