Meister und Margarita
den Meister auf. Er fasste sich an den Kopf und lief zurück zur Gruppe der wartenden Gefährten.
– Nun? –, fragte ihn Woland vom hohen Ross. – Alle Rechnungen beglichen? Der Abschied vollzogen?
– Ja, vollzogen –, erwiderte der Meister, beruhigte sich und blickte den anderen diesmal tapfer und unverwandt an.
Da erschien in der Ferne, hinter der Stadt, ein dunkler Punkt und begann, sich zu nähern. Und zwar mit unerträglicher Geschwindigkeit. Zwei, drei Augenblicke später blitzte er auf und wuchs und wuchs. Sehr deutlich seufzte und schmollte die Luft.
– He-he! –, sprach Korowjew. – Wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl! Wir stecken hier nämlich unnötig fest. Messire, erlauben Sie, dass ich noch einmal pfeife?
– Nein –, sagte Woland, – das erlaube ich nicht. – Er hob den Kopf, starrte den zauberhaft schnell anschwellenden Punkt an und fügte hinzu: – Sein Gesicht zeigt Mut. Er macht seine Sache ganz und gar richtig. Und überhaupt ist hier alles vorbei. Es wird Zeit für uns!
In diesem Moment dröhnte das blendend glänzende Flugzeug bereits über dem Jungfernkloster. Durch die Luft rollte ein Rattern. Um Margarita herum stieg eine Staubwolke. Dahinter ihr Gefährte. Er sprang in den Sattel. Schon jagten alle sechs Rosse hinauf und gen Westen. Margarita flog vorwärts, dass die Funken stoben. Zu ihrer Linken der Meister, zu ihrer Rechten Woland. Ihr Hengst zerrte stürmisch an der Trense. Wolands Umhang wölbte sich über den Köpfen der gesamten Kavalkade und verhüllte allmählich den Abendhimmel. Als der schwarze Schleier für eine Sekunde zur Seite wehte, sah Margarita sich um: Hinter ihr keine Spur von den bunten Türmen mit dem kurvenden Flugzeug. Auch die Stadt längst verschwunden. In der Erde versunken. Und zurück blieb nur Nebeldunst.
Kapitel 32
Vergebung und der letzte Trost
Ihr Götter, ihr Götter! Wie traurig ist doch die Abenderde! Wie geheimnisvoll der Nebel über den Sümpfen. Wer durch diesen Nebel geirrt, wer vor dem Tode lange gelitten, wer, eine drückende Bürde tragend, über diese Erde geflogen, der weiß es wohl. Der Erschöpfte weiß es. Und ohne Reue lässt er den Nebel, die Flüsse und Sümpfe der Erde zurück. Leichten Herzens begibt er sich in die Hände des Todes, der da als Einziger …
Sogar die schwarzen verzauberten Rosse waren jetzt müde und trugen die Reiter nur langsam voran. Die unausweichliche Nacht begann, sie mehr und mehr einzuholen. Da war sie, im Rücken. Selbst der unaufhaltsam sprudelnde Behemoth verstummte und flog, in den Sattel gekrallt, schweigsam und ernst, mit gebauschtem Schwanz.
Die Nacht schob sich, ein schwarzes Tuch, nach und nach über Wald und Wiesen. Die Nacht entzündete weit, weit unten traurige Lichter – für den Meister und Margarita nunmehr belanglose, fremde Lichter. Die Nacht überholte die Kavalkade, übersäte sie von oben herab und streute in den betrübten Himmel mal da, mal dort weiße Sternenflecken.
Die Nacht nahm an Dichte zu, flog nebenher, zupfte am Umhang der Reitenden, riss ihn herunter von ihren Schultern und entschleierte so den Trug. Margarita, umweht vom kühlen Wind, öffnete immer wieder die Augen: Und das Aussehen all dieser zielstrebig Schwebenden unterlag einer steten Wandlung. Als aber vom Waldrand ein scharlachroter Vollmond ihnen entgegentrat, ist der Trug zerflossen, die ephemere verwunschene Kleidung in den Sumpf gefallen, untergegangen im Nebeldunst.
Und so war Korowjew-Fagot (jener selbst ernannte Dolmetscher in Diensten des mysteriösen Sachverständigen, der doch nie irgendwelche Übersetzungshilfe ernsthaft in Anspruch genommen hätte) kaum noch in der Gestalt zu erkennen, die jetzt zur Rechten von des Meisters Gefährtin, unmittelbar neben Woland flog. Anstelle des Clowns im lumpigen Anzug, der unter dem Namen Korowjew-Fagot die Spatzenberge verlassen hatte, ritt nun, leise mit der Goldkette klirrend, ein dunkelvioletter Rittersmann, dessen stockfinstre Miene kein Lächeln kannte. Er stemmte das Kinn gegen die Brust, er würdigte den Mond nicht eines einzigen Blicks, er achtete die Erde gering, er war in tiefes Grübeln versunken, während er an Wolands Seite flog.
– Warum ist er auf einmal so verändert? –, erkundigte sich Margarita im säuselnden Wind halblaut bei Woland.
– Der Chevalier hat eines Tages schlecht gescherzt –, antwortete Woland und wandte Margarita ein verhalten glühendes Auge zu. – Sein Wortspiel im Gespräch über Licht und Finsternis erwies sich
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