Meister und Margarita
gleichsam in seinem Rang als Meister bestätigt. Und die dazugehörige Legende von der Ermordung des Baumeisters Hiram hört der Leser im Verlauf des Romans ganze zweimal – und zwar wieder als Parodie: Mit den drei bezeichnenden Schlägen werden sowohl der Administrator Warenucha wie auch später Judas von Kirjath niedergeschmettert. Es erschien daher als folgerichtig, das Wort »učenik«, auf Iwan bezogen, mit »Lehrling« und im Fall von Levi Matthäus als »Jünger« zu übersetzen (das Russische verwendet für beides ein und denselben Ausdruck).
Die Personen- und Ortsnamen
Noch einige Worte zu der Namensgebung: Wenn Bulgakow in den Pilatus-Kapiteln Orts- und Personennamen verwendet, will er offenbar, dass sie möglichst echt wirken. Schließlich soll das Geschehen – im bewussten Gegensatz zu den Evangelienberichten – gewissermaßen aus nächster Nähe geschildert werden, ein Augenzeugenbericht sein. Darum wählt der Autor statt der gräzisierten die originalen hebräischen Formen (wie »Jeschua Ha-Nozri« statt »Jesus von Nazareth«, »Jerschalajim« statt »Jerusalem« etc.) und tilgt, wo er sie nur bemerkt, die Anachronismen der früheren Fassungen. Darum wurden auch in der Übersetzung die alten Namen verwendet (wie »Caprea« statt »Capri«, »Falernum« statt »Falerner« etc.).
Eine sprachliche Besonderheit betrifft die »Schädelstätte«: Hierfür verwendet Bulgakow weder die aramäische (»Golgatha«) noch die russische Bezeichnung (» lobnoe mesto« = »Ort der Stirn«), sondern – als kalkulierte Dissonanz – den aus der slawischen Folklore stammenden Namen »Kahler Berg« (» Lysaja Gora« ). Dass dieser berüchtigte Treffpunkt der Hexen – im Westen unter anderem aus Modest Mussorgskis Tondichtung »Eine Nacht auf dem Kahlen Berg« (» Noč’ na Lysoj Gore« ) bekannt – zur Szenerie der christlichen Passionsgeschichte gemacht wird, sodass sich zwei mythische Welten überlagern, ist ein überraschender modernistischer Kunstgriff, ein Verfremdungseffekt, wie er im Buch steht.
Ein unabgeschlossenes Werk
Neben all diesen Herausforderungen treten bei »Meister und Margarita« aber auch noch Probleme ganz anderer Art auf:
Wenn es heißt, dass Bulgakow an seinem Roman über zehn Jahre lang gearbeitet habe, so bedeutet dies keineswegs die Arbeit an der uns heute vorliegenden Textfassung. Alle Versionen divergieren stark und ändern sich von Phase zu Phase.
Die Fülle an Material verbunden mit Unterbrechungen wegen diverser Aufträge bereitete dem Autor zunehmend Mühe, die einzelnen Stränge zusammenzuhalten. Als er schließlich 1939 an der Nierensklerose erkrankte und nach und nach sein Augenlicht verlor, diktierte er über weite Strecken den Roman seiner Frau Jelena Bulgakowa. Der anschließende Korrekturdurchgang musste am 13. Februar 1940 abgebrochen werden, denn Bulgakow konnte kaum noch sprechen. Vier Wochen später, am 10. März 1940, starb er.
Das Werk, das er hinterlassen hat, ist also nur in sehr speziellem Sinne eine »Fassung letzter Hand«: Die krankheitsbedingte Unfähigkeit, an dem Roman weiterzuarbeiten, ist nicht dasselbe wie der schöpferische Wille des Autors. Gerade die zahlreichen Korrekturen im ersten Teil lassen erahnen, wie viel Arbeit ihm noch bevorstand.
Die Textlage
Nach dem Tod Bulgakows fertigte seine Witwe Jelena Bulgakowa eine maschinengeschriebene Reinschrift an, in der sie teilweise aus dem Gedächtnis noch weitere Änderungen vornahm. Einige sind bis heute umstritten, so zum Beispiel das von ihr wieder eingefügte Ende des Kapitels 32, welches Bulgakow verworfen hatte. Oder umgekehrt die Streichung der Flugzeug-Szene aus dem Kapitel 31. Doch auch anhand des letzten handschriftlich korrigierten Typoskripts ist es heute beinahe unmöglich, mit hundertprozentiger Sicherheit festzustellen, für welche Varianten sich der Autor entschied – insbesondere, wenn einzelne Sätze mehrfach gestrichen und dann ebenfalls mehrfach wieder in den Text aufgenommen worden sind. Darüber wird in der Forschung diskutiert.
Die Inkohärenz
Abgesehen von dieser Textlage, finden sich über das ganze Buch verstreut – und vor allem im zweiten Teil – unzählige kleinere und größere Unstimmigkeiten auf den Ebenen der Erzählstruktur, der Syntax oder des Stils. Da Bulgakow das Genre seines Werks gelegentlich als »phantastischer Roman« bezeichnet, sind Verstöße gegen Geschichtliches gewiss legitim. Es fällt kaum auf, dass der Hohepriester Kaiphas eine »dunkle
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