Meister und Margarita
alles Klamaukhafte nach und nach dämpfte, die Anachronismen zu streichen begann und einen viel ernsteren Ton anschlug. Freilich bedeutet dies keinesfalls einen Abschied von den stilistischen Ursprüngen des Romans. Auch durch die moderateren Erzählschichten hindurch dringen ständig – wie ja oben gezeigt wurde – sprachlich recht kühne Elemente an die Oberfläche und machen die Herkunft des Werks deutlich.
Die Sprache der Moderne
Soll diese charakteristische Machart von »Meister und Margarita« auch in der Übersetzung bewahrt bleiben, darf die Übertragung nicht allein aus dem Russischen ins Deutsche erfolgen, sondern auch quasi aus der Sprache der russischen Moderne in die Sprache der deutschen Moderne, die bei all ihrer Ähnlichkeit auch einige Besonderheiten aufweisen. Denn während sichdie Sprache der russischen Moderne durch scharfe Rhythmik, strukturelle Brüche und ironisch-groteske Floskeln auszeichnet, spielt die Frage der Erzählperspektive darin eine vergleichbar geringe Rolle. Die Instanz des »auktorialen Erzählers« wird dort nicht so radikal bekämpft wie zum Beispiel im deutschsprachigen Expressionismus, denn im Russischen erscheint sie weniger aufdringlich: Das Russische kennt keinen Konjunktiv, weshalb jede Wiedergabe von Gedanken, Gefühlen und sinnlichen Wahrnehmungen per se viel unmittelbarer wirkt – nicht als ein distanziertes »sei«, sondern als ein konkretes »ist«. In diesem Sinne kann ein und derselbe russische Satz im Deutschen von zwei grundsätzlich verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden: Im ersten Fall blickt der Erzähler – gewissermaßen von außen kommend – in die Köpfe der Personen hinein und beschreibt, was in ihnen vorgeht. Im zweiten Fall sieht er mit ihren Augen, und das Erlebte wird plastisch gezeigt.
Der Übersetzer begreift den Narrateur von »Meister und Margarita« als solch einen personalen Erzähler. Darum versucht er, alles scheinbar von außen Behauptete in einen inneren Monolog zu verwandeln und jede Schilderung ins Bild zu setzen. Ein Satz, der vermittelnd übersetzt werden könnte:
Berlioz aber wollte dem Dichter beweisen, es käme nicht darauf an, wie Jesus gewesen sei, gut oder schlecht, sondern darauf, dass Jesus als Person nicht existiert hatte und alle Berichte über ihn nichts weiter als Fabeln und ganz gewöhnliche Mythen seien.
wird stattdessen wie folgt übersetzt:
Jetzt wollte Berlioz dem Dichter klarmachen: Es kommt nicht darauf an, wie Jesus als Mensch ist, böse oder gut, sondern einzig darauf, dass es ihn als Person überhaupt nicht gibt. Alle Erzählungen über ihn sind Hirngespinste, Mythen eben.
Auf diese Weise soll die Spannung der Übersetzung jener des Originals angenähert werden.
Der Satzbau
Noch ein weiteres sprachliches Problem ist mit dieser Spannung verbunden: Bulgakows Sätze sind pointiert, sie streben jeweils ein bestimmtes Wort an, das im nächsten Satz oder Nebensatz wieder aufgegriffenwird. So entwickelt sich die Dramaturgie in logischen Schritten von Stufe zu Stufe. Diesem sehr zielgerichteten Sprechen steht häufig die deutsche Syntax entgegen, sodass ganz andere Wörter (meist Verben) am Schluss der Sätze oder Halbsätze zu stehen kommen und die genau abgestimmten und scharfen Übergänge deutlich schwächen. So entschied sich der Übersetzer für einen von vornherein sehr viel freieren Umgang mit dem Satzbau, einen Umgang, der mitunter sogar die Formen eines radikalen Durchbrechens des russischen Wortfolge annehmen kann – nicht im Sinne einer größeren Ferne zum Original, sondern vielmehr als eine neue Herausforderung, die plastische Expressivität des Bulgakow’schen Textes mit anderen Mitteln nachzugestalten und hervortreten zu lassen.
Damit sich die Bezüge nicht verlieren, werden längere Abschnitte, wie etwa:
Infolgedessen fasste er den Entschluss, die großen Straßen zu verlassen und sich durch die Gässchen zu schleichen, wo die Menschen nicht ganz so zudringlich sind, wo die Chancen geringer stehen, dass ein barfüßiger Mann belästigt und mit Fragen bezüglich der Unterhose bedrängt werden würde, die es ausdrücklich abgelehnt hatte, einer Knickerbocker zu ähneln.
in der Übertragung gern in knappere monologisch gehaltene Sätze aufgelöst:
Also: von größeren Straßen Abstand nehmen, sich durch Hintergässchen stehlen. Dort sind die Menschen nicht gar so lästig. Dort stehen die Chancen geringer, dass ein armer, barfüßiger Mann schikaniert und mit Fragen
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