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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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ihm? –, fragte Rjuchin zaghaft.
    – Der müde Arzt schaute ihn an und sagte lustlos:
    – Überanstrengung des Bewegungs- und Sprechapparats … Wahnvorstellungen … Schwerer Fall … Ich vermute mal: Schizophrenie. Plus Alkoholismus …
    Rjuchin hatte von den Worten des Arztes rein gar nichts verstanden, bis auf die Tatsache, dass es um Iwan wohl recht übel stand. Er seufzte und fragte:
    – Was faselt er denn die ganze Zeit von irgendeinem Sachverständigen?
    – Er hat wahrscheinlich jemanden gesehen, der auf sein überhitztes Bewusstsein einen besonders starken Eindruck machte. Vielleicht aber auch nur halluziniert …
    Wenige Minuten später brachte der Laster Rjuchin zurück in die Stadt. Es dämmerte. Die Lichter an der Chaussee brannten zwar noch, aber deren Schimmer wirkte schon überflüssig und eklig. Der Fahrer ärgerte sich – die Nacht war sinnlos vertan –, jagte den Wagen so schnell er konnte, der an jeder Kurve ins Schleudern kam.
    Der Wald fiel ab, blieb irgendwo hinten. Der Fluss ging zur Seite, und entgegen kam lauter Zeugs herangewirbelt: Zäune mit Wächterhäuschen davor. Gestapeltes Brennholz. Riesige Pfähle. Obskure Masten mit Spulen drauf. Steinschutthaufen. Erde, zerschunden von tausend Kanälen. Kurzum, an der allernächsten Ecke lauerte Moskau, um sich jeden Moment auf einen zu stürzen und zu umschlingen.
    Rjuchin wurde geschüttelt, gerüttelt. Der Klotz, welcher ihm als Sitzplatz diente, drohte die ganze Zeit wegzurutschen. Bevor sie in den Trolleybus gestiegen waren, hatten der Milizmann und Panteleimon ihm die Handtücher aus dem Restaurant hineingeworfen. Die huschten jetzt im Laderaum hin und her. Erst versuchte er noch, sie aufzusammeln, dann aber zischte er in grundloser Wut: – Den Teufel auch! Was tu ich hier eigentlich? Bin doch nicht blöd! … –, stieß sie mit dem Fuß beiseite und schenkte ihnen keine Beachtung mehr.
    Die Stimmung des Fahrenden war miserabel. Eins stand fest: Der Besuch im Hause der Trübsal hatte sich ihm tief eingeprägt. Und Rjuchin bemühte sich herauszufinden, was ihn so quälte. Etwa der Flur mit den bläulichen Lampen, der nun so fest am Gedächtnis klebte? Der Gedanke, dass der Verlust des Verstands das größte Übel auf Erden sei? Ja, ja, natürlich, das auch. Obwohl es nur ein Gemeinplatz ist. Doch da war noch etwas anderes. Was war es denn? – Kränkung, das war es. Ja, ja, die kränkenden Worte, die ihm Besdomny mitten ins Gesicht geschleudert hatte. Und das Schlimmste war nicht, dass sie kränkend waren, sondern dass sie einen wahren Kern enthielten.
    Der Dichter schaute nicht mehr umher, sondern starrte den schmutzigen, scheppernden Boden an, brummte, nölte, sich selbst verzehrend.
    Nun ja, die Verse … Er ist zweiunddreißig! Und wie soll es weitergehen? – Tja, genauso: Er wird – jahraus, jahrein – immer wieder die paar Gedichte schreiben. – Bis ins hohe Alter? – Ja, bis ins hohe Alter. – Und was bringen ihm diese Gedichte? Womöglich Ruhm? »Ach, lass den Blödsinn! Sei ehrlich wenigstens zu dir selbst. Wie vermöchte denn jemand, Ruhm zu erlangen, der solche schwachen Gedichte schreibt? Und warum sind die schwach? – Er sagte die Wahrheit!«, kasteite sich Rjuchin erbarmungslos. »Ich glaube kein Wort von dem, was ich schreibe! …«

    Vergiftet vom Ausbruch der Neurasthenie, zuckte der Dichter kurz auf. Das Ruckeln unter ihm hatte sich gelegt. Rjuchin hob den Kopf und erkannte: Er war längst in Moskau. Mehr noch: Über der Stadt tagte es schon. Die Wolke leuchtete golden bestrahlt. Sein Lastwagen aber steckte fest an der Ausfahrt zum Boulevard, mitten in einer Autokolonne. Und vor ihm auf dem Sockel der Mann aus Metall, der unbeteiligt, mit geneigtem Gesicht, die Straße betrachtete.
    Seltsame Gedanken durchströmten jetzt das Hirn des kranken Dichters. »Der da, zum Beispiel – ein echter Glückspilz …« Nun aber richtete Rjuchin sich auf – zu voller Größe – dort im Laderaum des Lasters – und drohte mit geballter Faust dem gusseisernen Menschen, der doch niemandem etwas zuleide getan hatte. »Jeder seiner Schritte, egal welcher, nutzte ihm. Was auch immer geschah, verhalf ihm zum Ruhm! Doch wo ist die Leistung? Das wüsst’ ich zu gern … Nehmen wir die Worte: ›Will der Himmel sich verhüllen?‹ Was wäre daran so Besonderes? Nichts! … Einfach nur Glück gehabt, einfach nur Glück gehabt!«, schlussfolgerte Rjuchin mit plötzlichem Hass und merkte, wie der Lastwagen unter ihm wieder

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