Meister und Margarita
drehte. Rimskis kalte schweißnasse Finger verkralltensich in der Aktentasche. Noch etwas mehr von diesem Geknarr, und er hält es nicht aus und brüllt.
Endlich gab die Tür jemands Anstrengung nach – ging auf – und den Büroraum betrat – völlig geräuschlos – Warenucha. Rimski ließ sich, so wie er stand, in den Sessel fallen, denn seine Beine gehorchten ihm nicht. Er holte tief Luft, setzte ein gespielt freundliches Lächeln auf und sagte gedämpft:
– Meine Güte, hast du mich erschreckt …
Nun, die unverhoffte Erscheinung hätte auch jeden erschrecken können. Und dennoch war sie – zur gleichen Zeit – ein Grund zur Freude: Wenigstens ein Zipfel in dieser verworrenen Angelegenheit wurde gelüftet.
– Komm, erzähl! Jetzt mach schon, mach schon! –, keuchte Rimski, den Zipfel ergreifend. – Was hat das alles zu bedeuten?!
– Entschuldige bitte –, sagte mit tonloser Stimme der Eingetretene und schloss die Tür. – Ich dachte, du bist schon weg.
Und ohne die Mütze abzunehmen, bewegte er sich zum Sessel hin und nahm Platz auf der anderen Seite des Tisches.
Es war etwas Sonderbares an dieser Antwort, das dem Finanzdirektor, wenn auch nur schwach, Kopfschmerzen bereitete (ja, was Feinfühligkeit anbelangt, konnte er es auf der ganzen Welt mit der allerbesten Seismographenstation aufnehmen): Moment. Wieso kommt Warenucha hierher, wo er doch glaubt, es ist gar keiner da? Er hat immerhin auch ein eignes Büro. Erstens. Und zweitens: Egal welchen Eingang er benutzt hat, überall wäre er unausweichlich mit einem Wachmann zusammengestoßen. Und die wurden allesamt informiert: Grigorij Danilowitsch wird heute etwas länger brauchen.
Doch schenkte er dieser Merkwürdigkeit nicht zu viel Beachtung. Schließlich gab es Wichtigeres.
– Warum hast du nicht angerufen? Was soll dieser ganze Humbug mit Jalta?
– Nun, genau wie ich gesagt habe –, antwortete der Administrator mit leisem Schmatzen, so als störe ihn ein kranker Zahn. – Man hat ihn in Puschkino aufgegabelt, in einer Kneipe.
– In Puschkino?! Du meinst, hier bei Moskau? Und die Telegramme aus Jalta?
– Vergiss dieses gottverdammte Jalta! Er hat den Telegraphenbeamten aus Puschkino abgefüllt. Und da fingen die an, blöde Spielchen zu spielen. Zum Beispiel verschickten sie Telegramme mit »Jalta« als Absender.
– Aha … Aha … Ich verstehe, ich verstehe … –, reagierte Rimski, nicht so sehr sprechend, als vielmehr trällernd. Seine Augen sprühten gelbes Licht. Ein Festakt! Stjopas peinliche Absetzung! Erlöst, erlöst! Endlich erlöst von Lichodejew, dieser Geißel der Menschheit! Tja, und wer weiß, vielleicht erntet Stepan Bogdanowitsch auch etwas mehr als nur eine Kündigung … – Bitte ausführlich! –, sagte Rimski und schlug mit dem Briefbeschwerer auf den Tisch.
Und Warenucha berichtete ausführlich. Er kommt also dort an, wo der Finanzdirektor ihn hingeschickt hat. Er wird gleich empfangen und mit gesammelter Aufmerksamkeit angehört. Natürlich glaubt niemand, zu keiner Sekunde, dass Stjopa wirklich in Jalta ist. Vielmehr sind alle von Warenuchas Vermutung überzeugt, dieses Jalta sei das Jalta in Puschkino.
– Und wo ist er jetzt? –, unterbrach der besorgte Finanzdirektor den Administrator.
– Was glaubst du, wo er jetzt ist? –, erwiderte der mit schiefem Lächeln. – In der Ausnüchterungszelle, versteht sich.
– Aha … Aha … Na, herzlichen Dank!
Und Warenucha erzählte weiter. Und je länger er weitererzählte, desto farbiger zeichnete sich vor dem Finanzdirektor die lange Kette von Lichodejews schmutzigen Eskapaden ab. Und jedes neue Glied in der Kette war ärger als das vorherige. Allein schon der ausgelassene Tanz mit dem Beamten – eng umschlungen – auf der Wiese vor dem Telegraphenamt in Puschkino – zur Musik der ersten besten dahergelaufenen Harmonika! Das Jagen irgendwelcher Fräuleins, die kreischend davonliefen! Der Versuch, im Jalta den Wirt zu verprügeln! Das Ausstreuen von Schnittlauch über den Fußboden des besagten Jalta. Das Zertrümmern von acht Flaschen trockenen Weißweins Marke Ai-Danil. Das Beschädigen des Zählers im Taxi des Chauffeurs, der sich geweigert hat, Stjopa zu fahren. Die Androhung, jeden verhaften zu lassen, der bemüht war, seinen Unflätigkeiten ein Ende zu setzen … Kurzum – ein richtiger Albtraum!
Stjopa war in der Moskauer Theaterszene berühmt-berüchtigt, und alle wussten: Mit diesem Mann ist nicht gut Kirschen essen. Und doch war das, was
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