Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
sprach:

    »Mein Gott, wie krank du bist. Wofür nur, wofür! Aber ich werde dich retten, dich retten. Was ist denn das bloß!«
    Ich sah ihre von Tränen und Rauch geschwollenen Augen und fühlte, wie ihre kalten Hände mir über die Stirn streichelten.
    »Ich werde dich heilen, dich heilen«, murmelte sie und verkrallte sich in meiner Schulter. »Und dann schreibst du ihn neu. Warum nur, warum habe ich kein Exemplar behalten?«
    Sie fletschte die Zähne vor lauter Zorn. Redete unverständliches Zeug. Die Lippen aufeinandergepresst, begann sie, die angesengten Seiten aufzusammeln und glatt zu streichen. Es war irgendein Kapitel aus der Mitte des Romans (ich weiß nicht mehr genau, welches). Sorgfältig ordnete sie die Blätter, wickelte sie in Papier ein und schnürte um sie ein Band. Diese Handlungen zeigten ihre Entschlossenheit und dass sie sich wieder gefasst hatte. Dann wollte sie Wein. Trank aus. Und beruhigte sich ein wenig.
    »So wird man für seine Lügen bestraft«, sagte sie, »und ich mag nicht mehr lügen. Am liebsten würde ich gleich hierbleiben – hier, bei dir. Nur, wie könnt’ ich es tun – auf diese Weise? Dass er mich im Gedächtnis behält als eine, die ihm bei Nacht und Nebel durchgebrannt ist? Dabei hat er mir nie etwas Böses getan … Er wurde nur plötzlich abberufen. In seiner Fabrik herrscht Feueralarm. Aber er wird bald nach Hause kommen. Ich spreche mich morgen mit ihm aus. Gesteh’ ihm, dass ich einen anderen liebe. Und komme für immer zu dir zurück. Doch sag mir, willst du das überhaupt?«
    »Mein Liebes, Armes«, erwiderte ich, »auf gar keinen Fall lass ich es zu, dass du so etwas tust. Es ist übel mit mir. Und ich will dich nicht ins Bodenlose ziehen.«
    »Nur aus diesem Grund?«, fragte sie (ihre Augen näherten sich den meinen).
    »Nur aus diesem.«
    Sie wurde sehr lebhaft, drückte sich an mich, schlang mir die Arme um den Hals und sagte:

    »Nun, dann gehe ich mit dir unter. Bin morgen hier.«
    Woran ich mich sonst im Leben erinnere? Nur noch an diesen Streifen Lichts in meiner Diele. Und darin – an ihre zerzauste Haarsträhne. An ihr Barett. An ihre entschlossenen Augen. An ihre schwarze Silhouette an der Schwelle der Außentür. Zuletzt an das weiße Bündel Papier.
    »Ich würde dich ja gern begleiten. Doch ich schaff’ es allein nicht wieder her. Ich hab’ Angst.«
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Halt durch, es sind nur noch wenige Stunden. Schon morgen früh bin ich hier, bei dir.«
    Ihre letzten Worte in meinem Leben … Tsst! –, unterbrach sich auf einmal der Kranke und hob den Finger. – Was haben wir heute doch für eine unruhige Mondnacht.
    Er schwand zum Balkon. Iwan hörte im Flur die Rädchen rollen, dann – schwaches Stöhnen.
    Als es still wurde, kam der Besucher wieder. Und erzählte, auch in 120 wird jetzt ein Neuer eingeliefert. Der winselt und will seinen Kopf zurück. Die beiden Gesprächspartner schwiegen besorgt, entspannten sich schließlich und griffen erneut den Faden auf. Der Gast öffnete eben den Mund, doch die Nacht war in der Tat äußerst unruhig. Noch immer drangen Stimmen durch die Tür. Also flüsterte er eindringlich in Iwans Ohr. Und was? Das erfuhr ganz allein der Dichter. (Bis auf den ersten Satz, der da lautet: »Eine Viertelstunde später, nachdem sie gegangen war, klopft’ es an meine Fensterscheibe …«)
    Was er in Iwans Ohr flüsterte, ging ihm offenbar sehr zu Herzen. Sein Gesicht wurde ständig von Krämpfen verzerrt. In den Augen schwammen und zuckten auf: Angst und Zorn. Der Erzähler zeigte mit seiner Hand irgendwo hin – in Richtung des Mondes, der längst vom Balkon verschwunden war. Erst als alle Außengeräusche verstummten, rückte der Gast von Iwan ab und redete lauter:
    – Und Mitte Januar stand ich dann – nachts – in eben jenemMantel – nur halt mit abgerissenen Knöpfen – auf meinem Hof und zitterte vor Kälte. Hinter mir lagen Schneewehen und verbargen das Fliedergesträuch. Vor mir – unten – spärlich beleuchtet und verhängt – meine kleinen Fenster. Ich drückte mich an das erste von ihnen und lauschte: In meinen Zimmern spielte ein Grammophon. Das war alles, was ich zu hören vermochte – zu erspähen gelang mir nichts. Ich stand eine Weile und trat durch das Gartentor in die Gasse: In meiner Gasse spielte der Schneesturm. Mir unter die Füße stürzte ein Köter und erschreckte mich, dass ich rasch die Seite wechselte. Der Frost und die Angst (längst meine treue Begleiterin)

Weitere Kostenlose Bücher