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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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der Administrator über ihn erzählte, zu viel des Guten. Oh ja, zu viel. Sogar reichlich zu viel …
    Rimskis stachlige Augen bohrten sich über den Tisch hinweg in dessen Gesicht und verdüsterten sich, je länger der sprach. Mit jedem neuen pikanten Detail, das die Schilderung des Administrators garnierte, sank die Glaubwürdigkeit des Erzählers. Schließlich gab Warenucha auch noch zum Besten, wie mit Stjopa die Pferde nun komplett durchgegangen waren: Da kommen Leute von Moskau angereist, um den Delinquenten höchstpersönlich zurückzupfeifen, und er leistet ihnen doch glatt Widerstand! Und spätestens hier wusste der Finanzdirektor mit hundertprozentiger Sicherheit: Der Administrator, der sich erst jetzt, um Mitternacht, wieder blicken lässt, lügt! Lügt wie gedruckt, lügt von Anfang bis Ende.
    Nein, Warenucha war nicht in Puschkino gewesen, genauso wenig wie Stjopa dort war. Kein betrunkener Telegraphenbeamter, kein zerbrochenes Glas in der Kneipe, kein mit Stricken gefesselter Varieté – Direktor … – Einfach nichts von all dem.
    Und als der Finanzdirektor begriff: der Administrator lügt, durchströmte Angst seinen ganzen Körper von den Zehen bis aufwärts zum Scheitel. Und wieder und wieder zog da auf einmal diese moderige Malariafeuchte über den Boden. Nicht eine Sekunde lang ließ er den Blick von Warenucha (der saß im Sessel, grotesk gekrümmt, barg sich im blauen Schatten der Tischlampe, geradezu auffällig bemüht, mithilfe einer Zeitung den störenden Schein der Glühbirne abzuschirmen) und dachte immer und immer dasselbe: Was hat das alles zu bedeuten? Warum lügt – und dann auch noch so dreist – der zu spät gekommene Administrator in diesem öden und stummen Gebäude? Und die Ahnung von drohender Gefahr, einer unbekannten, doch großen Gefahr, begann schwer auf seinem Gemüt zu lasten. Er tat, als würde er all die Kapriolen und Finessen mit der Zeitung nicht bemerken und studierte Warenuchas Physiognomie, fast ohne auf dessen Gefasel zu hören. Da war etwas noch sehr viel Unerklärlicheres als jenes warum auch immer frei erfundene üble Gerücht über Puschkino. Und zwar die Abweichungen im Aussehen und Verhalten des Administrators.
    Wie sehr er auch bemüht war, den entenhaften Mützenschirm über die Augen zu ziehen, damit das Gesicht im Schatten bleibt, wie sehr er auch mit der Zeitung hantierte – dem Finanzdirektor war der riesige blaue Fleck – dort rechts – an der Nase – keineswegs entgangen. Außerdem schien der ansonsten blutvolle Administrator von ungesunder kalkiger Blässe, während um seine Kehle in dieser schwülen Nacht weiß Gott warum ein zerschlissenes gestreiftes Halstuch gewickelt war. Zählt man die ekelhafte Angewohnheit hinzu, die er seit seiner Abwesenheit angenommen hatte (nämlich zu schnalzen und zu schmatzen), die auffällige Veränderung in der Stimme (sie wurde dumpf und rau), den diebischen feigen Ausdruck im Blick – ließe sich geradeheraus behaupten: Iwan Saweljewitsch Warenucha ist einfach nicht wiederzuerkennen.
    Und noch irgendetwas beunruhigte den Finanzdirektor auf beinahe schmerzhafte Weise. Nur: Er konnte nicht feststellen, was – obwohl er sein zermartertes Hirn anstrengte und den Administrator unverwandt ansah. Doch irgendetwas Unerhörtes und Widernatürliches lag in der Art, wie Warenucha da auf dem wohlvertrauten Sessel saß.

    – Nun, mit vereinten Kräften haben wir ihn dann ins Auto gekriegt –, brummte Warenucha und lugte hinter dem Zeitungsblatt hervor, den blauen Fleck mit der Hand verdeckend.
    Rimski streckte den Arm aus. Ließ die Finger verspielt über den Schreibtisch gleiten. Drückte spontan die elektrische Klingel und erschrak. – Das schrille Signal durch das leere Haus – wo ist es? – Es war ausgeblieben. Der kleine Knopf versank leblos im Inneren der Tischplatte. Der kleine Knopf tot, die Klingel kaputt.
    Warenucha bemerkte die Finte des Finanzdirektors. Sein Gesicht verzerrte sich, und er fragte, wobei in seinen Augen unverhohlen ein böses Feuer aufflackerte:
    – Wieso klingelst denn du?
    – War keine Absicht –, murmelte jener, zog die Hand zurück und fragte nun seinerseits mit schwankender Stimme: – Was hast du da an der Backe?
    – Wir kamen ins Schleudern. Bin gegen die Tür geprallt –, antwortete Warenucha mit scheelem Blick.
    »Er lügt!«, rief der Finanzdirektor in Gedanken aus. Da aber weiteten sich seine Pupillen und starrten wie irr den Sessel an.
    Dahinter, am Boden, lagen zwei

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