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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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brachten mich bald zur Raserei. Es gab keinen Ort, wo ich hingehen konnte. Das Einfachste wäre es natürlich gewesen: sich auf der Straße am Ende des Gässchens vor eine Tram zu werfen. Von Weitem sah ich schon diese mit Licht gefüllten vereisten Kisten. Hörte bereits deren ekelhaftes Geknirsch in der klirrenden Kälte. Das Verrückteste aber, verehrter Nachbar, bestand darin, dass sich meine Furcht jeder einzelnen Körperzelle bemächtigte. Und wie eben noch vor dem Hund, zitterte ich vor jeder Tram. Glauben Sie mir, in der ganzen Klinik ist keine Krankheit schlimmer als meine.
    – Wieso haben Sie ihr bloß nicht Bescheid gegeben? –, fragte Iwan, voller Anteilnahme mit dem armen Kranken. – Und außerdem Ihr gesamtes Geld! Nicht wahr, sie hat es doch aufbewahrt?
    – Natürlich hat sie es aufbewahrt. Darum geht es gar nicht, verstehen Sie mich? (Offensichtlich ist mein Erzähltalent völlig versiegt. Nun, sei’s drum! Ich will es ja auch nie wieder gebrauchen.) Sie aber hätte –, er blickte mit Ehrfurcht ins Dunkel der Nacht, – vor sich einen Brief aus einer Irrenanstalt. Ist es statthaft, Briefe zu schreiben, wenn man solch eine Anschrift hat? Als Geistesgestörter! Ein schlechter Scherz! Sie unglücklich machen? Tut mir leid, so was kann ich nicht.
    Darauf wusste der andere nichts zu erwidern. Aber schweigend empfand er Mitleid für ihn, war angerührt. Und jenernickte – gequält von Erinnerung – mit dem Kopf im schwarzen Mützchen. Er sagte nur:
    – Arme Frau … Im Übrigen geb’ ich die Hoffnung nicht auf, dass sie mich vergessen hat …
    – Und was, wenn Sie wieder gesund werden sollten? … –, erkundigte sich schüchtern Iwan.
    – Ich bin unheilbar –, sprach seelenruhig der Besucher. – Und jedes Mal, wenn Strawinski sagt, er bringt mich zurück ins Leben, dann glaub’ ich ihm einfach nicht. Er sagt es aus reiner Herzensgüte, um mich zu trösten. Aber wahr ist auch, dass es mir jetzt schon viel besser geht. Ach ja, wo war ich stehen geblieben? Der Frost, die vorübersausenden Trams … Ich wusste von dieser neuen Klinik. Und lief zu ihr hin durch die ganze Stadt. Ein Irrsinn! Ich wäre da draußen erfroren – das steht fest. Doch wie es der Zufall so will: Ein Lastwagen hatte eine Panne. Ich ging zum Fahrer – es war um die vier Kilometer außerhalb der Stadt – und erstaunlicherweise ließ er Gnade walten. Denn er fuhr ohnehin ins Krankenhaus und nahm mich mit. So fror ich mir bloß die linken Zehen ab. Aber die wurden dann erfolgreich behandelt. Und nun bin ich hier – schon den vierten Monat. Und wollen Sie meine Meinung wissen: Es ist hier alles andere als schlecht. Müssen es immer nur große Pläne sein, verehrter Herr Nachbar? Sehen Sie mich an: Ich hatte einst vor, die Welt zu bereisen. Allein das Schicksal wollte es nicht und beschied mir ein unbedeutendes Fleckchen. Gern glaub’ ich, dass es schönere gibt. Und doch, wie gesagt: Es ist gar nicht so übel. Der Sommer kommt. Bei uns am Balkon wird bald Efeu ranken (Praskowja Fjodorowna hat’s versprochen!). Die Schlüssel gewähren mir sehr viel Freiheit. Und dann diese Nächte und dieser Mond. Ach, er ist fort! Es frischt etwas auf. Wir haben nach Mitternacht. Zeit für mich.
    – Erzählen Sie mir, wie geht die Geschichte mit Jeschua und Pilatus denn aus? –, bat Iwan. – Ich möchte es unbedingt erfahren.

    – Nein, lieber nicht –, versetzte der Besucher krankhaft zuckend, – ich kann nur mit Schaudern an meinen Roman zurückdenken. Ihr Bekannter vom Patriarchenteich wäre dazu viel besser geeignet. Dank für die Unterhaltung. Auf Wiedersehen.
    Und bevor Iwan etwas sagen konnte, schloss sich das Gitter mit leisem Geläut. Der Gast war verschwunden.

Kapitel 14
Dem Hahn sei Dank!
    Nun ja, die Nerven machten nicht mit. Noch bevor das Protokoll fertiggestellt war, flüchtete Rimski in sein Büro. Er saß am Schreibtisch, mit geschwollenen Augen, und betrachtete die vor ihm liegenden zauberischen Zehnrubelscheine. Der Finanzdirektor verlor den Verstand. Von draußen drang gleichmäßiges Rauschen. Die Zuschauermenge floss in Strömen aus dem Varieté auf die Straße hinaus. Da vernahm sein scharf gewordenes Ohr ganz deutlich das Trillern des Milizmanns. Das verheißt an sich schon wenig Gutes. Jetzt aber wiederholte es sich. Wurde verstärkt von einem zweiten, energischeren und länger anhaltenden. Als sich schließlich lautes Gegröl und sogar Gefeixe hinzumischten, wurde ihm schlagartig klar, dass draußen

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