Meister und Margarita
während er ihm eine Terrine reichte, in der ein vereinsamtes Krautblatt schwamm.
– Doch ich habe sie nicht! Nix da! Nix da! –, schrie mit furchtbarer Stimme Nikanor Iwanowitsch. – Wann kapierst du es? Nix da! Nix da!
– Nix da? –, brüllte erzürnt der Koch. – Nix da? –, fragte er mit weiblicher Sanftheit. – Natürlich nichts da. Ist ja gut, ist ja gut! –, murmelte er tröstend und verwandelte sich in die Arztgehilfin Praskowja Fjodorowna.
Sie war es, die dem stöhnenden Nikanor Iwanowitsch behutsam an die Schulter fasste. Und alle Köche lösten sich auf – samt dem Theater und der Kulisse. Mit Tränen in den Augen erblickte Nikanor Iwanowitsch sein Krankenzimmer und zwei Menschen in Weiß. Doch es handelte sich hierbei nicht um die Köche, die frech mit ihren blöden Ratschlägen kommen, sondern um den Doktor und Praskowja Fjodorowna. Sie hielt in der Hand denn auch keine Terrine, sondern einen Teller mit etwas Mull und einer darauf liegenden Spritze.
– Aber wenn ich’s doch sage! –, beschwerte sich Nikanor Iwanowitsch, während er eine Injektion verpasst bekam. – Nix da! Nix da! Soll doch Puschkin denen die Devisen abgeben! Nix da!
– Ist ja gut, ist ja gut –, beruhigte ihn die mitfühlende Praskowja Fjodorowna. – Wo nichts da ist, da ist halt nichts da.
Die Injektion brachte ein wenig Erleichterung. Er schlief ein. Diesmal ohne Träume.
Durch seine Schreie indes übertrug sich die Sorge auf das Zimmer Nr. 120: Dort fuhr ein Patient aus dem Schlaf und fing an, seinen Kopf zu vermissen. Danach auf das Zimmer Nr. 118: Dort erregte sich der verkannte Meister, schlug in Wehmut die Hände zusammen und gedachte – indem er den Mond betrachtete – jener traurigen letzten Herbstnacht. – Lichtstrahlen unter der Kellertür. Im Lufthauch eine wehende Strähne.
Vom Zimmer 118 – über den Balkon – erreichte die Sorge schließlich Iwan. Er wachte auf und begann zu weinen.
Aber der Arzt spendete Trost all diesen Mühseligen und Beladenen. Und sie schliefen allmählich ein. Iwan zuletzt – als es über dem Fluss bereits dämmerte. Nach dem Heilmittel, das ihm den Körper labte, war endlich Friede eingekehrt und deckte ihn zu wie eine Welle. Der Leib wurde leichter, und um die Schläfen strömte der Schlummer – ein lauer Wind. Er nickte ein und erlauschte noch im Wäldchen das morgendliche Gezwitscher. Doch schon bald verstummten die Vögel. Und im Traum sah er: Schon sank die Sonne über dem Kahlen Berg, jenem zweifach abgeriegelten Berg …
Kapitel 16
Die Hinrichtung
Schon sank die Sonne über dem Kahlen Berg, jenem zweifach abgeriegelten Berg.
Die Reiterala, welche dem Statthalter gegen Mittag den Weg gekreuzt, eilte im Trab Richtung Hebron-Tor auf einer freigehaltenen Straße. (Das Fußvolk der Cappadocierkohorte hatte die strömende Menschenmenge, Kamele und Maultiere fortgescheucht.) Und die Ala, sprengend, bis weiße Säulen von Staub hinauf in den Himmel stiegen, zog zu dem Schnittpunkt der beiden Pfade – des südlichen, der gen Bethlehem führt, und des nordwestlichen nach Jaffa. Sie sauste über den nordwestlichen Pfad. Alldieweil die Cappadocier – rings verstreut – jede Karawane, so zum Fest gekommen, zur Seite drängten. Fromme Scharen verließen jetzt ihre gestreiften, im Grase aufgeschlagenen Zelte und stellten sich hinter den Cappadociern auf. Ungefähr eine Meile weiter überholte die Ala die zweite Kohorte der Legio Fulminata, legte noch einmal dieselbe Strecke zurück, um als Erste am Kahlen Berg anzukommen und abzusitzen. Der Hauptmann teilte sie dann in Trupps ein, die den gesamten Fuß des nicht allzu hohen Hügels abriegelten und nur einen Aufstieg offen ließen – den von der Jaffa-Straße her.
Später rückte die zweite Kohorte nach, stieg etwas höher und bildete dort einen dichten Ring um den Berg herum.
Als Letzte traf die Centurie ein, von Marcus Rattenschreck angeführt. Sie marschierte in einer doppelten Reihe zu beiden Seiten des Weges. Und dazwischen, im Gewahrsam des Geheimdienstes, rollte der Karren mit den drei Verurteilten (sietrugen weiße Schilder um den Hals, auf welchen jeweils in zwei Sprachen – Aramäisch und Griechisch – geschrieben stand: »Räuber und Aufrührer«). Diesem Karren folgten weitere, beladen mit frisch gehobelten Pfählen, Querbalken und Seilen, auch mit Spaten, Eimern und Äxten. Hier fuhren nun die sechs Scharfrichter mit. Ihnen nach – zu Pferd – Centurio Marcus, dann das Oberhaupt der Tempelwächter
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