Meister und Margarita
listige Verführerin erwartet …
Dann erzählte Kurolessow über sich selbst. Zugegebenermaßen nur wenig Schmeichelhaftes. Nikanor Iwanowitsch hörte ihn sagen, wie irgendeine unglückliche Witwe jammernd – im Regen – vor ihm niederkniete. Doch das Herz des Schauspielers blieb hart.
Vor dem Traum waren die Werke des Dichters Puschkin Nikanor Iwanowitsch praktisch unbekannt. Ihn selbst freilich kannte er bestens und sagte mehrmals an einem Tag Sätze wie: »Und wer soll gefälligst die Miete bezahlen? Puschkin etwa?«, oder: »Wer hat die Birne im Treppenhaus entfernt? Puschkin vielleicht?«, »Dann wird wohl Puschkin das Heizöl kaufen?«.
Aber jetzt, wo er eins seiner Werke kennenlernte, wurde ihm traurig zumut. Er stellte sich eine kniende Frau vor. Mit Waisenkindern! Und dann noch im Regen! Und dachte unwillkürlich: »Dieser Kurolessow ist mir ja vielleicht einer!«
Doch jener wurde immer lauter und lauter, setzte seine Beichte fort und brachte Nikanor Iwanowitsch vollends durcheinander, weil er sich auf einmal an jemanden wandte, der gar nicht auf der Bühne stand und zugleich für diesen Abwesenden antwortete. Dabei nannte er sich mal »Herr«, mal »Baron«, mal »Vater«, mal »Sohn«, mal per »du«, mal per »Sie« …
Nikanor Iwanowitsch begriff nur, dass der Schauspieler eines unschönen Todes starb: mit dem Schrei »Mein Schlüssel! Ach, mein Schlüssel!« hinfiel, ächzte und sich vorsichtig die Krawatte vom Leibe riss.
Nachdem er gestorben war, kam Kurolessow wieder hoch,klopfte den Staub von der Frackhose ab, verbeugte sich mit einem künstlichen Lächeln und ging, begleitet von magerem Applaus. Worauf der Ansager Folgendes meinte:
– Soeben hörten wir im wunderbaren Vortrag von Sawwa Potapowitsch Kurolessow den »Geizigen Ritter«. Tja, unser Ritter träumte davon, dass flinke Nymphen zu ihm geeilt kämen. Und von weiteren Annehmlichkeiten dieser Art. Doch, wie Sie sehen, ist nichts dergleichen passiert: Weder eilten die Nymphen zu ihm herbei, noch bedachten ihn die Musen mit ihren Gaben, noch viel weniger baute er irgendwelche Schlösser! Sein Ende hatte – ganz im Gegenteil – nur wenig Beneidenswertes: Er verreckte elendig an einem Schlag – auf der Truhe voller Devisen und Klunker. Und ich kann Sie nur warnen, dass auch mit Ihnen etwas Ähnliches geschehen wird. Möglicherweise sogar noch Schlimmeres. Es sei denn, Sie geben Ihre Devisen ab!
War es nun Puschkins Poesie oder die Prosa des Ansagers, die solch eine Wirkung erzielt hatte, doch plötzlich ertönte aus dem Saal ein etwas schüchternes Stimmchen:
– Gut, ich mach es.
– Dann darf ich Sie zu mir auf die Bühne bitten! –, rief der Künstler galant und bemühte sich, den Herrn im Dunkeln mit den Augen zu finden.
Nach oben kam ein blondes Männlein, das, wie es aussah, sich seit etwa drei Wochen nicht rasiert hatte.
– Verzeihen Sie, ich vergaß Ihren Namen –, sprach der Ansager zu ihm.
– Kanawkin, Nikolaj –, antwortete jener verschämt.
– Ah, richtig! Sehr erfreut, Herr Kanawkin. Nun, wie schaut’s aus?
– Ich mach es –, sagte Kanawkin leise.
– Und wie viel?
– Tausend Dollar und zwanzig goldene Zehner.
– Bravo! Und mehr haben Sie nicht?
Der Artist starrte Kanawkin in die Augen. Nikanor Iwanowitsch schien es sogar, er starre durch Kanawkin hindurch, wie mithilfe von Röntgenstrahlen. Der Saal hielt den Atem an.
– Ich glaube ihm! –, rief der Künstler und knipste seinen Blick wieder aus. – Ich glaube ihm! Diese Augen lügen nicht. Wie oft denn soll ich Ihnen noch sagen: Ihr Hauptfehler besteht darin, die Macht der Augen zu unterschätzen. Begreifen Sie doch: Die Zunge vermag, die Wahrheit zu leugnen, aber nicht die Augen! – Sie bekommen eine plötzliche Frage gestellt. Sie zucken nicht einmal mit der Wimper. Haben sich nach einer Sekunde gefasst. Wissen genau, was zu sagen ist, um die Wahrheit zu verbergen. Und Sie reden gut. Sie verraten sich mit keiner einzigen Muskelbewegung. Dennoch haben Sie Pech gehabt: Die Wahrheit, aufgescheucht von der Frage, schwappt vom Grund Ihrer Seele hinauf in die Augen, und es ist vorbei! Sie wurde erkannt, und Sie sind geliefert!
Nachdem er – und zwar mit Leidenschaft – diese höchst überzeugende Rede beendet hatte, erkundigte sich der Artist liebevoll bei Kanawkin:
– Und wo versteckt?
– Bei meiner Tante, Porochownikowa, auf der Pretschistenka …
– Momentchen … Sie meinen nicht etwa … Klawdia Ilinjitschna?
– Doch.
– Ach,
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