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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Freiheit des Wollens.
    Sie heißt Magie.«
    »Warum soll ich Magie treiben, wenn ich Kunst treiben kann? Ist Kunst nicht ebenso gut?«
    »Alles ist gut. Nichts ist gut. Magie hebt Täuschungen auf. Magie hebt jene schlimmste Täuschung auf, die wir ›Zeit‹ heißen.«
    »Tut das Kunst nicht auch?«
    »Sie versucht es. Ist dein gemalter Juli, den du in deinen Mappen hast, dir genug? Hast du Zeit aufgehoben?
    Bist du ohne Angst vor dem Herbst, vor dem Winter?«
    Klingsor seufzte und schwieg, schweigend trank er, schweigend füllte der Magier seine Tasse. Irrsinnig tobte die entfesselte Klaviermaschine, zwischen den Tanzenden schwebte engelhaft Th
    u Fus Gesicht. Der Juli
    war zu Ende.
    Klingsor spielte mit den leeren Flaschen auf dem Tische, ordnete sie im Kreise.
    »Dies sind unsre Kanonen«, rief er, »mit diesen Kanonen schießen wir die Zeit kaputt, den Tod kaputt, das 377
    Elend ka putt. Auch mit Farben habe ich auf den Tod ge-schossen, mit dem feurigen Grün, mit dem knallenden Zinnober, mit dem süßen Geraniumlack. Oft habe ich ihn auf den Schädel ge troff en, Weiß und Blau habe ich ihm ins Auge gejagt. Oft habe ich ihn in die Flucht geschlagen. Noch oft werde ich ihn treff en, ihn besiegen, ihn überlisten. Seht den Armenier, wie der öff net er eine alte Flasche, und die eingeschlossene Sonne vergangener Sommer schießt uns ins Blut. Auch der Armenier hilft uns, auf den Tod zu schießen, auch der Arme nier weiß keine andere Waff e gegen den Tod.«
    Der Magier brach Brot und aß.
    »Gegen den Tod brauche ich keine Waff e, weil es keinen Tod gibt. Es gibt aber eines: Angst vor dem Tode.
    Die kann man heilen, gegen die gibt es eine Waff e. Es ist die Sache ei ner Stunde, die Angst zu überwinden. Aber Li Tai Po will nicht. Li liebt ja den Tod, er lebt ja seine Angst vor dem Tode, seine Schwermut, sein Elend, nur die Angst hat ihn ja all das gelehrt, was er kann und wo-für wir ihn lieben.«
    Spöttisch stieß er an, seine Zähne blitzten, immer heiterer ward sein Gesicht, Leid schien ihm fremd. Niemand gab Ant wort. Klingsor schoß mit der Weinkano-ne gegen den Tod. Groß stand der Tod vor den off enen Türen des Saales, der von Menschen, Wein und Tanz-musik geschwollen war. Groß stand der Tod vor den Tü-
    ren, leise rüttelte er am schwarzen Akazienbaum, fi nster stand er im Garten auf der Lauer. Alles war draußen voll 378
    Tod, voll von Tod, nur hier im engen schallenden Saal ward noch gekämpft, ward noch herrlich und tapfer ge-kämpft gegen den schwarzen Belage rer, der nah durch die Fenster greinte.
    Spöttisch blickte der Magier über den Tisch, spöttisch schenkte er die Schalen voll. Viele Schalen schon hatte Klingsor zerbrochen, neue hatte er ihm gegeben.
    Viel hatte auch der Armenier getrunken, aber aufrecht saß er wie Klingsor.
    »Laß uns trinken, Li«, höhnte er leise. »Du liebst ja den Tod, gerne willst du ja untergehen, gerne den Tod sterben. Sagtest du nicht so, oder habe ich mich ge-täuscht – oder hast du mich und dich selber am Ende getäuscht? Laß uns trin ken, Li, laß uns untergehen!«
    Zorn quoll in Klingsor empor. Auf stand er, stand aufrecht und hoch, der alte Sperber mit dem scharfen Kopf, spie in den Wein, zerschmiß seine volle Tasse am Boden. Weithin spritzte der rote Wein in den Saal, die Freunde wurden bleich, fremde Menschen lachten.
    Aber schweigend und lächelnd holte der Magier eine neue Tasse, schenkte sie lächelnd voll, bot sie lächelnd Li Tai an. Da lächelte Li, da lächelte auch er. Über sein verzerrtes Ge sicht lief das Lächeln wie Mondlicht.
    »Kinder«, rief er, »laßt diesen Fremdling reden! Er weiß viel, der alte Fuchs, er kommt aus einem versteck-ten und tie fen Bau. Er weiß viel, aber er versteht uns nicht. Er ist zu alt, um Kinder zu verstehen. Er ist zu weise, um Narren zu ver stehen. Wir, wir Sterbenden, 379
    wissen mehr vom Tode als er. Wir sind Menschen, nicht Sterne. Seht da meine Hand, die eine kleine blaue Schale voll Wein hält! Sie kann viel, diese Hand, diese braune Hand. Sie hat mit vielen Pinseln gemalt, sie hat neue Stücke der Welt aus dem Finstern gerissen und vor die Augen der Menschen gestellt. Diese braune Hand hat viele Frauen unterm Kinn gestreichelt, und hat viele Mäd chen verführt, viel ist sie geküßt worden, Tränen sind auf sie gefallen, ein Gedicht hat Th
    u Fu auf sie ge-
    dichtet. Diese liebe Hand, Freunde, wird bald voll Erde und voll Maden sein, keiner von euch würde sie mehr anrühren. Wohl, eben darum liebe

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