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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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muß ich untergehen oder fl iegen lernen. Die Welt geht mich nichts mehr an, ich bin jetzt ganz allein.«
    Etwas verlegen fragte sie: »Waren Sie in einer Anstalt?«
    »Verrückt, meinen Sie? Nein. Obwohl auch das ja möglich wäre.« Er wurde zerstreut, Gedanken packten ihn von innen. Mit beginnender Unruhe sprach er fort:
    »Wenn man darüber redet, wird auch das Einfachste gleich kompliziert und un verständlich. Wir sollten gar nicht davon sprechen! – Man tut das ja auch nur, man spricht nur dann darüber, wenn man es nicht verstehen will.«
    »Wie meinen Sie das? Ich will wirklich verstehen.
    Glau ben Sie mir! Es interessiert mich sehr.«
    Er lächelte lebhaft.
    »Ja, ja. Sie wollen sich darüber unterhalten. Sie haben et was erlebt und wollen jetzt darüber reden. Ach, es hilft nichts. Reden ist der sichere Weg dazu, alles miß-
    zuverstehen, alles seicht und öde zu machen. – Sie wollen mich ja nicht verstehen und auch sich selber nicht!
    Sie wollen bloß Ruhe haben vor der Mahnung, die Sie gespürt haben. Sie wollen mich und die Mahnung damit abtun, daß Sie die Eti kette fi nden, unter der Sie mich einreihen können. Sie versu chen es mit dem Verbrecher 461
    und mit dem Geisteskranken, Sie wollen meinen Stand und Namen wissen. Das alles führt aber nur weg vom Verstehen, das alles ist Schwindel, liebes Fräulein, ist schlechter Ersatz für Verstehen, ist vielmehr Flucht vor dem Verstehenwollen, vor dem Verstehenmüs sen.«
    Er unterbrach sich, strich gequält mit der Hand über die Augen, dann schien ihm etwas Freundliches einzu-fallen, er lächelte wieder.
    »Ach, sehen Sie, als Sie und ich gestern einen Augenblick lang genau das gleiche fühlten, da sagten wir nichts und frag ten nichts und dachten auch nichts – auf einmal gaben wir einander die Hand, und es war gut.
    Jetzt aber – jetzt reden wir und denken und erklären
    – und alles ist seltsam und un verständlich geworden, was so einfach war. Und doch wäre es ganz leicht für Sie, mich ebenso gut zu verstehen wie ich Sie.«
    »Sie glauben mich so gut zu verstehen?«
    »Ja, natürlich. Wie Sie leben, weiß ich nicht. Aber Sie le ben, wie ich es auch getan habe und wie alle es tun, meistens im Dunkeln und an sich selber vorbei, irgendeinem Zweck, einer Pfl icht, einer Absicht nach.
    Das tun fast alle Menschen, daran ist die ganze Welt krank, daran wird sie auch unterge
    hen. Manchmal
    aber, beim Tanzen zum Beispiel, geht die Absicht oder Pfl icht Ihnen verloren, und Sie leben auf ein mal ganz anders. Sie fühlen auf einmal so, als wären Sie allein auf der Welt, oder als könnten Sie morgen tot sein, und da kommt alles heraus, was Sie wirklich sind.

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    Wenn Sie tan zen, stecken Sie damit sogar andere an.
    Das ist Ihr Geheim nis.«
    Sie ging eine Strecke weit rascher. Zu äußerst auf einem Vorsprung überm See blieb sie stehen.
    »Sie sind sonderbar«, sagte sie. »Manches kann ich verste hen. Aber – was wollten Sie eigentlich von mir?«
    Er senkte den Kopf und sah einen Augenblick traurig aus.
    »Sie sind es so gewohnt, daß man immer etwas von Ihnen haben will. Teresina, ich will von Ihnen nichts, was nicht Sie selber wollen und gerne tun. Daß ich Sie liebe, kann Ihnen gleichgültig sein. Es ist kein Glück, geliebt zu werden. Jeder Mensch liebt sich selber, und doch quälen sich Tausende ihr Leben lang. Nein, geliebt werden ist kein Glück. Aber lieben, das ist Glück!«
    »Ich würde Ihnen gern irgendeine Freude machen, wenn ich könnte«, sagte Teresina langsam, wie mitleidig.
    »Das können Sie, wenn Sie mir erlauben, Ihnen
    irgendei nen Wunsch zu erfüllen.«
    »Ach, was wissen Sie von meinen Wünschen!«
    »Allerdings, Sie sollten keine haben. Sie haben ja den Schlüssel zum Paradies, das ist Ihr Tanz. Aber ich weiß, daß Sie doch Wünsche haben, und das ist mir lieb. Und nun wis sen Sie: da ist einer, dem macht es Spaß, Ihnen jeden Wunsch zu erfüllen.«
    Teresina besann sich. Ihre wachsamen Augen wurden wie der scharf und kühl. Was konnte er von ihr wissen?

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    Da sie nichts fand, begann sie vorsichtig: »Meine erste Bitte an Sie wäre, daß Sie aufrichtig sind. Sagen Sie mir, wer Ihnen etwas von mir erzählt hat.«
    »Niemand. Ich habe niemals mit einem Menschen
    über Sie gesprochen. Was ich weiß – es ist sehr wenig
    – weiß ich von Ihnen selbst. Ich hörte Sie gestern sagen, daß Sie sich wün schen, einmal in Castiglione zu spielen.« Ihr Gesicht zuckte.
    »Ach so, Sie haben mich belauscht.«
    »Ja, natürlich. Ich

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