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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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seltenen blauen Schillerfalter erbeutet und aufge spannt, und als er trok-ken war, trieb mich der Stolz, ihn doch wenigstens meinen Nachbarn zu zeigen, dem Sohn eines Lehrers, der überm Hof wohnte. Dieser Junge hatte das La ster der Tadellosigkeit, das bei Kindern doppelt unheimlich ist.

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    Er besaß eine kleine unbedeutende Sammlung, die aber durch ihre Nettigkeit und exakte Erhaltung zu einem Juwel wurde. Er verstand sogar die seltene und schwierige Kunst, beschädigte und zerbrochene Falterfl ügel wieder zusammen zuleimen, und war in jeder Hinsicht ein Musterknabe, wes halb ich ihn denn mit Neid und halber Bewunderung haßte.
    Diesem jungen Idealknaben zeigte ich meinen
    Schillerfal ter. Er begutachtete ihn fachmännisch, anerkannte seine Sel tenheit und sprach ihm einen Barwert von etwa zwanzig Pfennigen zu; denn der Knabe Emil wußte alle Sammelob
    jekte, zumal Briefmarken und
    Schmetterlinge, nach ihrem Geldwert zu taxieren. Dann fi ng er aber an zu kritisieren, fand meinen Blauschiller schlecht aufgespannt, den rechten Fühler gebogen, den linken ausgestreckt, und entdeckte rich tig auch noch einen Defekt, denn dem Falter fehlten zwei Beine. Ich schlug zwar diesen Mangel nicht hoch an, doch hatte mir der Nörgler die Freude an meinem Schiller einigermaßen verdorben und ich habe ihm nie mehr meine Beute ge zeigt.
    Zwei Jahre später, wir waren schon große Buben, aber meine Leidenschaft war noch in voller Blüte, verbreitete sich das Gerücht, jener Emil habe ein Nachtpfauenauge gefan gen. Das war nun für mich weit aufregender, als wenn ich heute höre, daß ein Freund von mir eine Million geerbt oder die verlorenen Bücher des Livius gefunden habe. Das Nachtpfauenauge hatte noch keiner von uns 196
    gefangen, ich kannte es überhaupt nur aus der Abbildung eines alten Schmetterlingsbuches, das ich besaß und dessen mit der Hand kolorierte Kupfer unendlich viel schö-
    ner und eigent lich auch exakter waren als alle modernen Farbendrucke. Von allen Schmetterlingen, deren Namen ich kannte und die in meiner Schachtel noch fehlten, ersehnte ich keinen so glü hend wie das Nachtpfauenauge.
    Oft hatte ich die Abbildung in meinem Buch betrachtet, und ein Kamerad hatte mir er zählt: Wenn der braune Falter an einem Baumstamm oder leisen sitze und ein Vogel oder anderer Feind ihn angreifen wolle, so ziehe er nur die gefalteten dunkleren Vorderfl ügel auseinander und zeige die schönen Hinterfl ügel, deren große helle Augen so merkwürdig und unerwartet aussähen, daß der Vogel erschrecke und den Schmetterling in Ruhe lasse.
    Dieses Wundertier sollte der langweilige Emil haben! Als ich es hörte, empfand ich im ersten Augenblick nur die Freude, endlich das seltene Tier zu Gesicht zu bekommen, und eine brennende Neugierde darauf.
    Dann stellte sich frei lich der Neid ein, und es schien mir schnöde zu sein, daß ge rade dieser Langweiler und Mops den geheimnisvollen kost baren Falter hatte erwi-schen müssen. Darum bezwang ich mich auch und tat ihm die Ehre nicht an, hinüberzugehen und mir seinen Fang zeigen zu lassen. Doch brachte ich meine Gedanken von der Sache nicht los, und am nächsten Tage, als das Gerücht sich in der Schule bestätigte, war ich sofort entschlossen, doch hinzugehen.

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    Nach Tische, sobald ich vom Hause weg konnte, lief ich über den Hof und in den dritten Stock des Nachbarhauses hinauf, wo neben Mägdekammern und Holz-verschlägen der Lehrerssohn ein oft von mir beneidetes kleines Stübchen für sich allein bewohnen durfte. Niemand begegnete mir unter wegs, und als ich oben an die Kammertür klopfte, erhielt ich keine Antwort. Emil war nicht da, und als ich die Türklinke versuchte, fand ich den Eingang off en, den er sonst während seiner Abwesenheit peinlich verschloß.
    Ich trat ein, um das Tier doch wenigstens zu sehen, und nahm sofort die beiden großen Schachteln vor, in welchen Emil seine Sammlung verwahrte. In beiden suchte ich verge bens, bis mir einfi el, der Falter werde noch auf dem Spann brett sein. Da fand ich ihn denn auch: die braunen Flügel mit schmalen Papierstreifen überspannt, hing das Nachtpfauen auge am Brett, ich beugte mich darüber und sah alles aus nächster Nähe an, die behaarten hellbraunen Fühler, die ele ganten und unendlich zart gefärbten Flügelränder, die feine wollige Behaarung am Innenrand der unteren Flügel. Nur gerade die Augen konnte ich nicht sehen, die waren vom Pa pierstreifen verdeckt.
    Mit Herzklopfen gab ich der Versuchung nach, die

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