Meistererzählungen
erkennen.
Ich griff zur Lampe und strich ein Zündholz an, und augenblicklich versank die Landschaft draußen und die Fenster standen voll von undurchdringlichem Nachtblau.
Meine Schmetterlinge aber leuchteten in dem hellen Lam penlicht prächtig aus dem Kasten. Wir beugten uns darüber, betrachteten die schönfarbigen Gebilde und nannten ihre Namen.
»Das da ist ein gelbes Ordensband«, sagte ich, »lateinisch fulminea, das gilt hier für selten.«
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Heinrich Mohr hatte vorsichtig einen der Schmetterlinge an seiner Nadel aus dem Kasten gezogen und betrachtete die Unterseite seiner Flügel.
»Merkwürdig«, sagte er, »kein Anblick weckt die Kind
heitserinnerungen so stark in mir wie der von
Schmetterlin gen.« Und, indem er den Falter wieder an seinem Ort an steckte und den Kastendeckel schloß:
»Genug davon!«
Er sagte es hart und rasch, als wären diese Erinnerungen ihm unlieb. Gleich darauf, da ich den Kasten weggetragen hatte und wieder hereinkam, lächelte er mit seinem braunen, schmalen Gesicht und bat um eine Zigarette.
»Du mußt mir’s nicht übelnehmen«, sagte er dann,
»wenn ich deine Sammlung nicht genauer angeschaut habe. Ich habe als Junge natürlich auch eine gehabt, aber leider habe ich mir selber die Erinnerung daran verdorben. Ich kann es dir ja erzählen, obwohl es eigentlich schmählich ist.«
Er zündete seine Zigarette über dem Lampenzylinder an, setzte den grünen Schirm über die Lampe, so daß unsre Ge sichter in Dämmerung sanken, und setzte sich auf das Ge simse des off enen Fensters, wo seine schlanke hagere Figur sich kaum von der Finsternis abhob. Und während ich eine Zigarette rauchte und draußen das hochtönige ferne Singen der Frösche die Nacht erfüllte, erzählte mein Freund das Fol gende.
Das Schmetterlingssammeln fi ng ich mit acht oder 193
neun Jahren an und trieb es anfangs ohne besonderen Eifer wie an dre Spiele und Liebhabereien auch. Aber im zweiten Som mer, als ich etwa zehn Jahre alt war, da nahm dieser Sport mich ganz gefangen und wurde zu einer solchen Leiden schaft, daß man ihn mir mehrmals meinte verbieten zu müs sen, da ich alles andere darüber vergaß und versäumte. War ich auf dem Falter-fang, dann hörte ich keine Turmuhr schla gen, sei es zur Schule oder zum Mittagessen, und in den Fe rien war ich oft, mit einem Stück Brot in der Botanisier büchse, vom frühen Morgen bis zur Nacht draußen, ohne zu einer Mahlzeit heimzukommen.
Ich spüre etwas von dieser Leidenschaft noch jetzt manch
mal, wenn ich besonders schöne Schmetter-
linge sehe. Dann überfällt mich für Augenblicke wieder das namenlose, gie rige Entzücken, das nur Kinder empfi nden können, und mit dem ich als Knabe meinen ersten Schwalbenschwanz beschlich. Und dann fallen mir plötzlich ungezählte Augen blicke und Stunden der Kinderzeit ein, glühende Nachmit tage in der trockenen, stark duftenden Heide, kühle Morgen stunden im Garten oder Abende an geheimnisvollen Wald rändern, wo ich mit meinem Netz auf der Lauer stand wie ein Schatzsucher und jeden Augenblick auf die tollsten Überraschungen und Beglückungen gefaßt war. Und wenn ich dann einen schönen Falter sah, er brauchte nicht einmal besonders selten zu sein, wenn er auf einem Blumenstengel in der Sonne saß und die farbigen 194
Flügel atmend auf und ab bewegte und mir die Jagdlust den Atem verschlug, wenn ich näher und näher schlich und jeden leuchtenden Farbenfl eck und jede kristallene Flügelader und jedes feine braune Haar der Fühler sehen konnte, das war eine Spannung und Wonne, eine Mischung von zarter Freude mit wilder Be gierde, die ich später im Leben selten mehr empfunden habe.
Meine Sammlung mußte ich, da meine Eltern arm
waren und mir nichts dergleichen schenken konnten, in einer ge wöhnlichen alten Kartonschachtel aufbewah-ren. Ich klebte runde Korkscheiben, aus Flaschenpfrop-fen geschnitten, auf den Boden, um die Nadeln darein zu stecken, und zwischen den zerknickten Pappdeckel-wänden dieser Schachtel hegte ich meine Schätze. Anfangs zeigte ich gern und häufi g meine Sammlung den Kameraden, aber andere hatten Holzkästen mit Glas-deckeln, Raupenschachteln mit grünen Gazewänden und anderen Luxus, so daß ich mit meiner primitiven Ein richtung mich nicht eben brüsten konnte. Auch war mein Be dürfnis darnach nicht groß und ich gewöhnte mir an, sogar wichtige und aufregende Fänge zu ver-schweigen und die Beute nur meinen Schwestern zu zeigen. Einmal hatte ich den bei uns
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