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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Aussage, die sich nicht bewährt hätte.
    Im übrigen nahmen die beiden ineinander verwickelten Prozesse ihren raschen Verlauf. Mit wunderlichen Gefühlen sah sich Matthias bald als Angeklagter den Pfarrern und Mesnern jener Missionsgegend, bald als Zeuge der hübschen Meta und dem Herrn Breitinger gegenübergestellt, der gar nicht Breitinger hieß und in weiten Kreisen als Gauner und Zuhälter unter dem Namen des dünnen Jakob bekannt war. Sobald sein An-188
    teil an der Breitingerschen Aff äre klargestellt war, entschwand dieser und seine Gefolgschaft aus des Pa ters Augen, und es wurde in wenigen kräftigen Verhandlun-gen sein eigenes Urteil vorbereitet.
    Er war auf eine Verurteilung von allem Anfang an ge-faßt gewesen. Inzwischen hatte die Enthüllung der Einzelheiten jenes Tages in der Stadt, das Verhalten seiner Oberen und die öff entliche Stimmung auf seine allgemeine Beurteilung gedrückt, so daß die Richter auf sein unbestrittenes Verge hen den gefährlichen Paragraphen anwendeten und ihn zu einer recht langen Gefängnis-strafe verurteilten.
    Das war ihm nun doch ein empfi ndlicher Schlag, und es wollte ihm scheinen, eine so harte Buße habe sein in keiner eigentlichen Bosheit beruhendes Vergehen doch nicht ver dient. Am meisten quälte ihn dabei der Gedanke an die Frau Tanner und ob sie ihn, wenn er nach Verbüßung einer so langwierigen Strafe und überhaupt nach diesem unerwartet viel beschrieenen Skandal sich ihr wieder vorstelle, noch überhaupt werde kennen wollen.
    Zu gleicher Zeit bekümmerte und empörte sich Frau Tan ner kaum weniger über diesen Ausgang der Sache und machte sich Vorwürfe darüber, daß sie ihn doch eigentlich ohne Not da hineingetrieben habe. Sie schrieb auch ein Briefl ein an ihn, worin sie ihn ihres unveränderten Zutrauens versicherte und die Hoff nung aussprach, er werde gerade in der unverdienten Härte seines Ur-189
    teils eine Mahnung sehen, sich innerlich ungebeugt und unverbittert für bessere Tage zu erhalten. Allein dann fand sie wieder, es sei kein Grund vorhanden, an Matthias zu zweifeln, und sie müsse es nun erst recht darauf ankommen lassen, wie er die Probe bestehe. Und sie legte den geschriebenen Brief, ohne ihn nochmals anzusehen, in ein Fach ihres Schreibtisches, das sie sorgfältig verschloß.
    Über alledem war es längst völlig Herbst geworden und der Wein schon gekeltert, als nach einigen trüben Wochen der Spätherbst noch einmal warme, blaue, zart verklärte Tage brachte. Friedlich lag, vom Wasser in gebrochenen Li nien gespiegelt, an der Biegung des grünen Flusses das alte Kloster und schaute mit vielen Fensterscheiben in den zart golden blühenden Tag. Da zog in dem schönen Spätherbst wetter wieder einmal ein trauriges Trüpplein unter der Füh rung einiger bewaff -
    neter Landjäger auf dem hohen Weg überm steilen Ufer dahin.
    Unter den Gefangenen war auch der ehemalige Pater Mat thias, der zuweilen den gesenkten Kopf aufrichtete und in die sonnige Weite des Tales und zum stillen Kloster hinunter sah. Er hatte keine guten Tage, aber seine Hoff nung stand immer wieder, von allen Zweifeln unzerstört, auf das Bild der hübschen blassen Frau gerichtet, deren Hand er vor dem bitteren Gang in die Schande gehalten und geküßt hatte. Und indem er unwillkürlich jenes Tages vor seiner Schick salsreise gedachte, da 190
    er noch aus dem Schutz und Schatten des Klosters in Langeweile und Mißmut hier herübergeblickt hatte, da ging ein feines Lächeln über sein mager gewordenes Gesicht, und es schien ihm das halbzufriedene Damals kei neswegs besser und wünschenswerter als das hoff -
    nungsvolle Heute.
    (1911)
    Das Nachtpfauenauge
    Mein Gast und Freund Heinrich Mohr war von seinem Abendspaziergang heimgekehrt und saß nun bei mir im Stu dierzimmer, noch beim letzten Tageslicht. Vor den Fenstern lag weit hinaus der bleiche See, scharf vom hügeligen Ufer gesäumt. Wir sprachen, da eben mein kleiner Sohn uns gute Nacht gesagt hatte, von Kindern und von Kindererinnerun gen.
    »Seit ich Kinder habe«, sagte ich, »ist schon manche Lieb haberei der eigenen Knabenzeit wieder bei mir lebendig ge worden. Seit einem Jahr etwa habe ich sogar wieder eine Schmetterlingssammlung angefangen.
    Willst du sie sehen?«
    Er bat darum, und ich ging hinaus, um zwei oder drei von den leichten Pappkästen hereinzuholen. Als ich den ersten öff nete, merkten wir beide erst, wie dunkel es schon gewor den war; man konnte kaum noch die Umrisse der aufge spannten Falter

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