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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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in Richards Miene vergebens suchte. Er schien gelassen, als er sie zu beschwichtigen suchte, doch als seine beruhigenden Worte nur immer wieder neue Tiraden bedingten, erwachte in ihm gleiche Ungeduld wie in Raoul. Mit eisiger Stimme schickte er sie schließlich fort, achtete nicht auf ihren Protest und sprang auf ein kleines Podest, von dem eben noch die Priester gepredigt hatten. Es bot einen guten Überblick über die Menge.
    Kaum dass die Menschen ihn erblickten, legte sich der Tumult ein wenig. Das Stimmengewirr ebbte ab, sodass er es hell und klar übertönen konnte.
    »Ich bin der Sohn eines Nordmanns und einer Bretonin«, begann er, »ich bin der Enkelsohn eines Heiden und einer Christin. Meine Vorfahren stammen aus Norwegen, Dänemark und dem Frankenreich. Sie sind bis zu den Hebriden und nach Irland gereist und sämtliche Flüsse hierzulande entlanggesegelt. Ihr mögt mich für einen Feind halten, weil ich hier lebe, mich den Sitten angepasst habe und getauft bin, und selbst wenn ihr mich nicht als Feind betrachtet, so doch nicht als Mann, auf den ihr hören wollt. Aber ich kann euch versichern: Ihr findet keinen besseren Führer in diesem Land als mich. Dieses Land kann jedem zur Heimat werden, der bereit ist, Ruinen aufzubauen, anstatt Paläste zu zerstören, der die Leichname der Gefallenen zur Seite schafft, um den Boden zu pflügen, anstatt neues Blut zu vergießen, der durch tüchtige Arbeit reich werden will anstatt durch Raub und Mord, der nicht nur Altes bewahren, sondern Neues erlernen will.«
    In Gunnoras Augen war Richard immer ein stattlicher Mann gewesen, der Eindruck machte, aber sie hätte nicht erwartet, dass er auch zum überzeugenden Redner taugte. Nun jedoch legte er sämtliche Inbrunst in seine Worte, derer er fähig war.
    »Ihr habt mir vorgeworfen, dass ich die Götter verrate, weil ich ihren Namen nicht ehre, aber die Götter haben weit größeren Gefallen an mir, als ihr glaubt. Denn die Götter des Nordens sind mutig und listig, und das bin ich auch. Sie kämpfen entschlossen gegen die Feinde, aber sie lügen, verraten und betrügen, wenn es zu ihrem Wohl ist, und bleiben vor allem sich selbst treu, nicht Gewohnheiten, die ins Verderben führen. Sie tun nicht das, was richtig und gut ist, sondern das, was ihnen nützlich erscheint, und auch ihr solltet erfragen: Was bringt den größten Nutzen? Welcher Weg führt in die Zukunft?«
    Richard hielt einen Moment inne, und Gunnora sah in die Gesichter seiner Zuhörer und las Verwirrung darin. Offenbar waren sie aufgehetzt worden, Richard zu hassen, und dass ihnen nun gefiel, wie mitreißend er sprach, stimmte sie verlegen. Bevor sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, fuhr Richard fort zu sprechen.
    »Ich kann euch eine Antwort darauf geben. Stellt euch auf meine Seite, dann werdet ihr hier sicher sein, ein ordentliches Leben haben und Land beackern, das noch eure Kindeskinder abernten werden. Glaubt nicht denen, die euch einzureden suchen, dass Tapferkeit mit größtmöglicher Grausamkeit zu beweisen ist. Mutig ist, wer am Fluss eine gangbare Furt sucht, anstatt sich an tiefster Stelle in die Fluten zu stürzen und darin zu ersaufen. Mutig ist auch, wer bei Sturm die Segel einzieht, anstatt sie in den Wind zu hängen, bis der Mast bricht. Mutig ist schließlich, wer an der Übermacht der Feinde vorbeischleicht und Verstärkung holt, anstatt mit einem Schwert gegen zehn zu kämpfen und erschlagen zu werden.«
    Als er endete, waren die Blicke der Menschen auf ihn gerichtet, dann musterten sie sich gegenseitig und suchten Widerspruch oder Zustimmung im Gesicht des Nächsten, um selbst entsprechend zu entscheiden.
    Plötzlich rief einer wütend: »Du willst unser Freund sein, aber du hast noch nicht bewiesen, dass du dazu taugst! Deine Männer haben reihenweise Dänen abgeschlachtet, kaum dass wir normannischen Boden betreten haben.«
    Richard schüttelte den Kopf. »Das ist eine Verleumdung, dergleichen habe ich niemals angeordnet.«
    »Warum sollen wir dir glauben? Du hast eben gesagt, dass die Götter manchmal lügen. Vielleicht tust du es auch.«
    »Ihr könnt mir vertrauen!«, rief der Graf eindringlich.
    »Warum? Was zählt dein Schwur, wenn deine Hand dabei die Bibel berührt?«
    Vergebens rang Richard nach Worten.
    »Du magst mit glühender Zunge zu uns reden, aber wo sind die Taten, die den Worten folgen? Wo ist das Land, das du uns versprichst? Wir sehen sehr wohl, dass der Boden hier fruchtbar ist, aber wir sehen auch

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