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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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der leeren Augen wurde augenblicklich feindselig.
    Alruna sprang auf. Das dunkle Kleid war übergroß und schlackerte an ihrem Körper. Ob die Kälte ihr so zugesetzt hatte, wie Richard es erhofft hatte, vermochte Gunnora nicht zu sagen – jedoch, dass sie gehungert hatte, ob nun freiwillig oder erzwungen.
    »Was willst du hier?«, zischte Alruna. »Bist du gekommen, um dich an meinem Leid zu ergötzen?«
    Gunnora schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin gekommen, weil ich mich um dich sorge«, sagte sie leise.
    Alruna runzelte die Stirne. »Du bist nicht barmherzig, du kannst es nicht sein. Du bist doch eine Heidin im Grunde deiner Seele.«
    Gunnora atmete tief durch. Schweiß brach ihr aus allen Poren, der Gestank setzte ihr zu. Unmöglich erschien es ihr, an diesem verlogenen Ort die Wahrheit zu vertuschen.
    »Gewiss«, gab sie zu. »In meinem Herzen werde ich niemals Christin sein. Aber ich werde fortan alles tun, auf dass die Welt glaubt, ich wäre es – für meine Schwestern, für meinen Sohn, für Richard und für mich. Und vor allem für meine Eltern, denn diese wollten, dass wir hier in Frieden leben, genug zu essen haben und unser Glück finden.«
    Alrunas Blick war nicht mehr ganz so feindselig, gleichwohl immer noch misstrauisch. »Warum sagst du das ausgerechnet mir?«
    »Weil ich dir wünsche, dass auch du daran glauben kannst: dass das Leben nämlich immer weitergeht, ganz gleich, was hinter uns liegt. Dass wir nach vorn blicken müssen, nicht zurück. Dass wir nicht immer bekommen, was wir wollen, und uns dennoch nicht aufgeben dürfen. Und dass wir uns manchmal selbst verraten müssen.«
    »Richard hat mich fortgejagt. Wie soll mein Leben da noch weitergehen?«
    Alruna klang trotzig, hasserfüllt, und Gunnora ahnte, dass sie gar nicht so viele schmutzige Füße würde waschen können, wie es zum Erlernen von Demut nötig wäre. Mathildas Tochter mochte klug genug sein, sich zu verstellen, aber sie war viel zu stolz dazu, eine der geknickten, schüchternen Nonnen zu werden. Auch als Schatten ihrer selbst konnte sie noch über andere Finsternis bringen.
    »Wir kennen Richard beide«, sagte Gunnora leise. »Gewiss, er zürnt dir, aber er ist nicht ausdauernd und nicht hart genug, als dass er nachtragend sein könnte.«
    »Du hast ihn nicht verdient, so respektlos wie du von ihm sprichst!«
    »Ich sehe, wer er ist, und ich erkenne ihn. Wer hätte ihn mehr verdient als eine, die das vermag?«
    Alruna schwieg lange. Sie wollte gewiss widersprechen, aber musste Gunnora wohl oder übel recht geben. »Liebst du ihn?«, fragte sie schließlich lauernd.
    Gunnora zuckte die Schultern. »Liebe hat viele Gesichter – deine Liebe hat ihr grausamstes und verzweifeltstes Antlitz gezeigt.«
    »Das beantwortet meine Frage nicht.«
    »Weil es auf manche Fragen keine Antworten gibt, nur neue Fragen. Liebt der Baum den Boden, in dem er Wurzeln schlägt? Ich weiß es nicht. In jedem Fall wird er von diesem genährt und wächst. Richard ist ein guter Nährboden für mich. Und er beschneidet mich nicht. Gewiss, vielleicht bin ich dazu gezwungen, in eine Richtung zu wachsen, sodass manche Äste verbogen werden. Aber bislang ist keiner abgebrochen.«
    »Das klingt nicht nach Liebe, sondern nach Vernunft.«
    Genugtuung blitzte in Alrunas Augen auf. Erstmals sprach sie so laut, dass die anderen aufblickten – die Nonnen ebenso wie die Bettler. Doch das Wort Liebe köderte ihre Aufmerksamkeit nicht lange. Es machte weder satt noch sauber noch demütig.
    Gunnora zog Alruna mit sich in einen Winkel, wo sie vor den anderen verborgen waren. »Ich bin keine Heuchlerin«, murmelte sie. »Es stimmt, was du sagst. Ich fühle mich wohl in seiner Gegenwart, und ich vermisse ihn, wenn er fort ist, aber ich verzehre mich nicht schmerzlich nach ihm. Was immer Richard und mich verbindet – es tut nicht weh. Ein wenig beneide ich dich um das, was du fühlst.«
    »Um meinen Schmerz?«, fragte Alruna erstaunt.
    »Ich werde nie wissen, wie sich diese Form der Liebe anfühlt. Ich werde nie zu sterben glauben, weil ich den Mann, nach dem ich mich sehne, nicht bekomme. Wie man sich ohne Eltern fühlt, das weiß ich, verstoßen und einsam und hilflos nämlich, aber was in dir vorgeht, kann ich nicht nachfühlen. Ich werde nie diesen Schmerz hüten gleich einem kostbaren Schatz.«
    »Du machst dich über mich lustig!«, fauchte Alruna.
    »Nein, ich meine es ernst. Ein Stein aus Rubin ist rot wie Blut – und Blut fließt nicht nur, wenn man gebärt,

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