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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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erneut.
    Scheinbar waren es nicht die gewünschten Schriften, denn Remi ließ sie wieder sinken, zog weitere aus der Truhe hervor, musterte auch sie.
    »Nun, vielleicht ist die Gräfin doch nicht so leichtsinnig, wie du denkst, und hat die Schriften längst zerstört«, murrte Bruder Ouen.
    Er wirkte nicht länger sensationslüstern, sondern ungeduldig. Vielleicht war er schlichtweg hungrig.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Bruder Remi. »Du hast doch sicher gehört, dass Dudo an einer Chronik schreibt und dass die Gräfin ihm zu diesem Zweck regelmäßig von lange vergangenen Ereignissen berichtet.«
    Das hatte Agnes auch gehört. Dudo war nicht nur Kanzler und Kaplan des Grafen und stand somit an höchster Stelle in der Rangordnung von dessen Beratern, sondern war überdies Dekan der Gemeinschaft von Saint-Quentin und wurde für seine weisen Ratschläge, seine Leidenschaft für die Dichtkunst und sein stilistisches Können gerühmt.
    »Und du denkst …«, setzte Bruder Ouen an.
    »Ich glaube nicht, dass eine Frau über ein derart großes Erinnerungsvermögen verfügt«, meinte Remi, »sie kann ihm nur so viele Details berichten, weil sie die entsprechenden Dokumente aufbewahrt.«
    »Aber von ihrem Geheimnis wird sie ihm wohl nichts erzählen wollen! Also hat sie vielleicht gerade diese Schriften vernichtet!«
    Bruder Remi knurrte Unverständliches. »Das wissen wir erst, wenn wir alles, wirklich alles durchsucht haben …«
    Und wieder beugte er sich über die Truhe, um weitere Pergamentrollen hervorzuziehen.
    Bruder Ouen schnaubte, Agnes bemerkte seinen Unwillen nur allzu deutlich.
    »Was ist?«, fuhr Bruder Remi ihn an, dem es genauso zu ergehen schien. »Ein wenig Mühe kostet es nun mal, die Welt zu verändern.« Er hielt inne. »Du hast bekräftigt, dass es dir nicht minder wichtig ist als mir, dass die Normandie wieder ans Frankenreich fällt, dass dieses Land von einem christlichen Herrscher regiert wird, nicht von einem Nachfahren der wilden Nordmänner.«
    Er verschluckte sich beinahe an seinem letzten Wort, als könnte man sich, spräche man es nicht mit gebührender Vorsicht aus, daran vergiften.
    Bruder Ouen lenkte ein. »Gewiss«, erklärte er und begann ebenso wie Bruder Remi, die Dokumente aufzurollen und zu lesen.
    Agnes hingegen musste sich beherrschen, nicht laut aufzuschreien.
    Die Normandie … ans fränkische Reich zurückfallen … Nachfahren von wilden Nordmännern …
    Gütiger Gott! Die beiden Mönche wollten nicht nur der Gräfin schaden, indem sie ihr dunkles Geheimnis ans Tageslicht zerrten, sondern vielmehr verhindern, dass nach dem Tod des Grafen ihr Sohn die Macht ergriff! Sie wollten ihn vernichten! Ihn und sein Land, das doch ihre Heimat war, die einzige, die sie kannte!
    Ich muss es verhindern, dachte Agnes, ich muss es unbedingt verhindern.

II.
962
    Agnarr, der Mann, der Gunnoras Eltern auf dem Gewissen hatte, wusch sich seine Hände, ehe er dem Vater gegenübertrat – sein Gesicht hingegen wusch er nicht. Die Blutspritzer auf den bereits rötlichen Bartstoppeln verbargen schließlich, wie schütter diese wuchsen. Nicht zu verbergen vermochten sie seine etwas weibischen Lippen und noch weniger ihr Zittern.
    Er zitterte vor Wut, weil ihm jene Frau entkommen war, weil ein Unbewaffneter ihn überwältigt und niedergeschlagen hatte und weil ihn seine Männer später nicht stolz zu Ross und siegreich vorgefunden hatten, sondern vor Schmerzen wimmernd und auf allen vieren kriechend.
    Die Schmerzen waren zu einem dumpfen Dröhnen verkommen, der Zorn jedoch immer lodernder geworden. Es machte es nicht leichter, gleichen Zorn im Gesicht seines Vaters gespiegelt zu sehen.
    »Bist du verrückt geworden?«, zischte dieser, kaum dass er das Langhaus betreten hatte. »Du weißt, dass es für unsere Taten keine Zeugen geben darf.«
    Als ob er ein tumber Narr wäre, der vergaß, was er zu tun hatte! So oft war er in den letzten Jahren ausgeritten und hatte Ankömmlinge aus den nordischen Ländern getötet, um Zwietracht zu säen. Natürlich wusste er, dass Zeugen gefährlich waren und ihren Plan zum Scheitern bringen konnten, niemand musste ihn daran erinnern!
    Er unterdrückte einen Fluch und fragte sich, wer ihm wohl zuvorgekommen war, dem Vater von seinem Versagen schon berichtet und ihn solcherart der Gelegenheit beraubt hatte, diesen milde zu stimmen.
    Guomundr packte ihn an der Schulter und rüttelte ihn. Obwohl Agnarr es insgeheim erhoffte, schlug er seinen Sohn jedoch nicht. Das hätte

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