Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
bedeutet, die Beherrschung zu verlieren, und das tat er nie … so wenig wie die schwarze Dänin. Sie hatte nicht geheult, nicht um ihr Leben gefleht …
    »Ich mache es wieder gut«, erklärte Agnarr hastig. »Ich durchpflüge den Wald, wenn es sein muss bis nach Rouen oder gar Évreux. Das Weib ist allein unterwegs, es kann nicht lange überleben.«
    »Du bist doch von irgendjemandem niedergestreckt worden, also hat sie Verbündete.«
    Auch das hatte man Guomundr gesagt?
    »Und dennoch, ich werde …«
    »Nichts wirst du! Du Dummkopf! Wenn dieses Weib dich erkannt hat … wenn durch sie die Welt erfährt, dass wir die Menschen aus dem Norden meucheln … wenn man dem Gerücht widerspricht, das wir seit Jahren streuen, dann …«
    Guomundrs Stimme riss ab.
    Dann war alles vergebens. Dann war ihr Trachten gescheitert, Graf Richard zu stürzen und Guomundr an seine Stelle zu setzen.
    Agnarr öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Das Blut, das in sein Gesicht gespritzt war, fühlte sich mit einem Mal klebrig an und war nicht länger ein Zeichen von Ruhm. Er hätte es sich doch von den Wangen waschen sollen.
    Sein Vater ließ ihn los und betrachtete ihn angewidert.
    Als Schlächter schickst du mich aus, dachte Agnarr, zum Tier soll ich werden … doch wenn ich vor dir stehe, verachtest du gerade dies und willst stattdessen einen Mann sehen, der das Ränkespiel beherrscht, dem man den Hunger nach Blut nicht ansieht, der keine Lust am Quälen findet.
    »Geh mir aus den Augen!«, schimpfte Guomundr.
    Er sprach leise, wurde nie laut wie Agnarr, ließ nie zu, dass ihm die Züge entglitten wie eben seinem Sohn.
    Woher zog sein Vater diese Kraft? Woher die schwarze Dänin?
    Warum gelang es ihnen, sich dem Spiel zu widersetzen, das dieses Leben mit ihnen spielte, indem es Mörder und Opfer, Starke und Schwache, Herren und Sklaven ins Feld schickte und sich am Siegen und Untergehen weidete? Wie schafften sie es, am Rand zu stehen und zuzuschauen, als ginge es sie nichts an?
    »Warum eigentlich?«, fragte er.
    »Warum was?«, gab sein Vater zurück.
    Agnarr musterte Guomundr. Er selbst trug noch Kettenhemd und Schwert, während sein Vater nur mit Kittel und Hosen bekleidet war. Rüstungen waren zu teuer, als dass man sie trug, wenn man nicht gerade tötete.
    »Warum lasse ich mich von dir gängeln?«, fragte Agnarr leise. »Warum mich verschmähen?«
    Guomundrs Augen weiteten sich. Agnarr war nicht sicher, ob er auf deren Grund Verachtung aufblitzen sah oder Angst. Er studierte den Vater nicht länger, blickte sich stattdessen um. Sie waren allein im Langhaus. Die Männer hockten draußen, soffen Met und brieten Fleisch über dem Feuer. Auch sie hatten ihre Gesichter nicht gewaschen, auch an ihnen klebte noch Blut.
    »Du bist nichts ohne mich«, knurrte Guomundr.
    »Doch«, bestand Agnarr heiser, »töten kann ich gut allein. Wann hast du mich je begleitet? Wann mich die schmutzige Arbeit nicht allein verrichten lassen?«
    Während er sprach, zog er sein Schwert.
    »Zu töten und zu herrschen sind zweierlei Dinge.« Guomundrs Stimme war nicht lauter als ein Flüstern. »Dass du das eine kannst, ist kein Beweis, dass du auch das andere gelernt hast.«
    »O doch! Deine wichtigste Regel besagt, dass, wer über andere herrschen will, als Erstes vollkommene Macht über sich selbst gewinnen muss. Folge nicht der Gier und Lust oder dem Rausch, folge deinem Kopf – das hast du mir immer gesagt. Ich bin weder schwach noch ein Narr, ich kann dieser Regel folgen.«
    »Und eben deswegen wirst du jetzt dein Schwert weglegen.«
    Guomundrs Stimme war lauter als je zuvor. Oder kam Agnarr das nur so vor, weil sein Blut nicht in den Ohren rauschte, sondern dickflüssig zu werden schien?
    Reue überkam ihn, Entsetzen über die eigene Skrupellosigkeit, auch Angst, was käme, wenn er ohne den Vater wäre. Doch anstatt das Schwert sinken zu lassen, dachte er an die schwarze Dänin. Wenn es einem schwächlichen Weib gelang, seine Gefühle zu unterdrücken, dann müsste er selbst es doch noch meisterhafter können.
    »Ich bin stärker als du«, erklärte Agnarr kalt und hob das Schwert.
    »Wag es nicht!«
    Der Vater schrie, wollte es zumindest. Kaum war der Schrei ertönt, riss er schon wieder ab. Nie wieder würde er schreien, nie wieder leise sprechen – das Schweigen der Toten war immer gleich endgültig, ganz gleich, wer sie zu Lebzeiten waren.
    Der Kopf des Vaters polterte zu Boden, Agnarr ließ das Schwert sinken.
    Agnarr blieb einen Moment

Weitere Kostenlose Bücher