Meisterin der Runen
Gewürze heraus: Brunnenkresse, Anis und Liebstöckel.
Sie konnte also noch guten Appetits essen, konnte sich daran erfreuen, dass sie endlich satt war, nur lächeln wie Seinfreda konnte sie nicht, und auch nicht wie diese Fragen stellen – so, warum Samo hier im Wald lebte.
Der Wald gehöre einem reichen Grundherrn, antwortete er nuschelnd, und für diesen Grundherrn jage er Wild, hüte den Baumbestand und melde jeden, der den Wald betrete.
Wird er auch uns melden?, fragte Gunnora sich voller Angst. Und noch angstvoller stimmte sie die Frage, wer an seiner Seite in dieser Hütte lebte.
Obwohl ihre Lippen versiegelt blieben, bekam sie Antwort. Eine kreischende Stimme erklang von der Tür her. »Wen hast du da gebracht?«
Gunnora beruhigte Duvelina, die aufschreckte, als sie nun die Silhouette einer gekrümmten Gestalt wahrnahmen, einer Frau, die zum Herdfeuer trat und sich misstrauisch darüber beugte, um zu prüfen, wie voll der Topf noch war. Ihr Haar war grau, der Rücken bucklig, das Gesicht faltig.
Gewiss war das nicht Samos Eheweib, sondern wohl seine Mutter. Gunnora war es gleich, doch Seinfreda schien erleichtert. Unterwürfig wandte sie sich an die Alte.
»Vergib die Störung … wir sind nur Frauen … und haben unser Leben deinem Sohn anvertraut …«
Als sie in knappen Worten vom Massaker berichtete, kam es Gunnora wie ein Verrat vor. Die Trauer um die toten Eltern gehörte doch ihnen allein! Und sie wussten viel zu wenig über Samo, auch nicht, ob er womöglich mit dem Mörder verbündet war oder zumindest sein Grundherr!
Die alte Frau stemmte ihre Hände in die Hüften. »Mir ist es völlig gleich, wer ihr seid und woher ihr kommt. Wer essen will, muss dafür arbeiten.«
Samo mischte sich ein. »Siehst du denn nicht, dass sie völlig erschöpft sind?«
Gunnora war verblüfft. Er war ja doch des Mitleids fähig, nicht völlig dumpf.
»Sie schlafen draußen«, erklärte die Alte ungerührt.
»Aber draußen ist es zu kalt«, knurrte Samo.
Die beiden maßen sich, und Gunnora entging das Erstaunen, das im Gesicht der Alten geschrieben stand, nicht. Offenbar war sie nicht gewohnt, dass der Sohn sich gegen sie stellte. Dieses ungewöhnliche Verhalten musste mit Seinfredas Lächeln zu tun haben.
Gunnora erhob sich und hob Duvelina hoch. »Wir gehen«, verkündete sie.
Sie kam kaum einen Schritt weit, als sich Seinfreda ihr in den Weg stellte. »Wir sind Waisen, wir haben niemanden, wir bleiben.«
Ein ähnlicher Zweikampf wie zwischen Samo und seiner Mutter entspann sich, und auch nun beugte sich die für gewöhnlich Stärkere.
Gunnora legte Duvelina wieder auf eine der Bänke. Seinfreda indessen wandte sich an die alte Frau: »Wir werden dich für deine Güte belohnen. Wir werden alles, was wir essen, mit unserer Hände Arbeit bezahlen.«
Gunnora wusste, sie sollte ihr beipflichten, doch plötzlich überkam sie das Gefühl, dass sie sich, sobald sie den Mund aufmachte, übergeben müsste.
Die Zeit war kein Fluss, sie war ein trübes Loch. In den kommenden Wochen versank alles darin – Trauer, Entsetzen, Zukunftsängste. Doch auch wenn sie nichts fühlte, war sich Gunnora sicher: Ihre Wunden heilten nicht. Irgendwann würde alles wieder hochsteigen, schmutzig und schwer wie Morast.
Seinfreda betäubte ihren Schmerz, indem sie lächelte und arbeitete, wie sie es nie zuvor getan hatte. Duvelina und Wevia jammerten viel, schliefen erschöpft davon ein, riefen klagend nach den Eltern und schliefen wieder.
Gunnora konnte nicht schlafen, dennoch wurde sie von Trägheit übermannt. Anstatt Seinfreda zu helfen, wenn diese Brot buk, das Federvieh im kleinen Stall neben dem Haus fütterte, Holz sammelte und Wolle spann, hockte sie sich in den Schatten eines Baumes und lehnte sich an dessen Rinde. Als dieser Baum einst zu wachsen begonnen hatte, hatten ihre Eltern noch nicht gelebt … ein Gedanke, der sie irgendwie tröstete.
Noch tröstlicher war es, in die Rinde Runen zu ritzen. Ihren eigenen Namen, auch andere, vor allem die der Eltern. Es war die einzige Möglichkeit, ihr Andenken zu ehren. Sie konnte schließlich keinen Becher Wein auf sie trinken, wie es in Dänemark üblich war. Sie konnte keinen Gedenkstein in Auftrag geben, in den Gedichte gemeißelt wurden. Sie konnte nur ihre Namen festhalten – für immer oder zumindest für sehr lange –, sie konnte auch Thors Namen schreiben, ihn bitten, diese Runen zu heiligen und jeden zu verfluchen, der sie zerstören wollte.
Sie musste an den
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