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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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zu weinen. Was sonst soll ich tun, um mein Leben zu retten?«
    Aegla leckte sich über die schmalen Lippen, die in der Dunkelheit bläulich wirkten. »Man sagte mir, du hättest Graf Richard beigelegen. Er hat doch viele Frauen, schöne Frauen. Wenn du ihn gewonnen hast, gelingt dir das bei jedem anderen Mann auch.«
    Gunnoras Blut rauschte in ihren Ohren.
    Verhexen und verführen. Für Aegla mochte es fast dasselbe sein, für sie nicht. Verhexen konnte man jemanden mit Runen, verführen mit dem Körper. Der Macht der Runen traute sie nicht mehr, nicht jetzt, da sie wusste, dass der Mörder ihrer Eltern kein Christ war. Aber ihr Körper war immer noch jung, zäh, stark.
    Sie hatte es ertragen, bei Richard zu liegen, es sogar genossen. Weit quälender würde es sein, Agnarrs Berührungen auszuhalten, sie würde es jedoch überleben, und ums Überleben ging es, um nichts anderes.
    Gunnora hockte sich auf den Boden, verwischte die Todesrune, malte stattdessen Fehu, die Rune des Feuers. Als sie fertig war, erlosch der Span. Sie hörte Aegla rasselnd atmen, aber sah sie nicht mehr.
    »Danke«, sagte sie leise.
    »Du musst mir nicht danken. Ich habe die Gesetze dieser Welt nicht gemacht. Wer zu nichts taugt, wird zertreten, und niemand gedenkt seiner mit Ehrfurcht.«
    Die alte Frau drehte sich um und ging just in dem Augenblick, da Agnarr die Hütte betrat.
    Agnarr musste an seinen Vater denken und an eine Geschichte aus seiner Jugend, die ihm dieser einst erzählt hatte. Unerfahren war Guomundr damals noch gewesen, im Kampf zwar schon geübt, aber viel zu leichtgläubig und hitzig. Er wollte ein Kloster überfallen, doch anstatt den Plan gründlich vorzubereiten, rannten er und seine Männer einfach drauflos – und direkt in die Arme eines feindlichen Heeres. Noch entkamen sie der Übermacht, indem sie auf eine Insel inmitten zweier Flussarme flohen, doch an den Ufern warteten die Feinde. Die Nacht schützte sie, aber wenn der Himmel sich rötete, würden diese übersetzen und sie massakrieren.
    Guomundr bereute den Leichtsinn, wusste jedoch, dass Reue allein sie nicht retten würde. Nur die Götter konnten noch helfen, und da die Götter selbstsüchtig waren, galt es, sie mit einem Geschenk gnädig zu stimmen. Die teuerste Gabe, mit der sie sich bestechen ließen, war ein Krieger für Walhall. Also wählten sie den Stärksten aus ihrem Kreis aus, schlugen ihm erst den Kopf ab, dann die restlichen Glieder und hängten sie alle an den blattlosen Bäumen auf. Ob jener Krieger sich freiwillig gemeldet hatte, wussten sie hinterher nicht mehr. Alle Männer, so hieß es, sehnten sich nach Walhall und der Gesellschaft Odins, der dort am Tischende saß und seine Wölfe fütterte, aber nicht minder sehnten sich alle Männer nach dem nächsten Atemzug und nach dem nächsten Morgen. Als dieser Morgen dämmerte, war das Blut längst aus allen Gliedern getrieft und im Boden versickert, und die Leichenteile schienen gelb wie Wachs.
    Das Opfer lohnte sich. Bald landeten nicht die Feinde auf der Insel, sondern Schiffe mit Landsleuten, die sie mitnahmen, und Guomundr hatte eine wichtige Lektion gelernt, die er fortan auch dem Sohn beibrachte.
    Weil wir ihn haben bluten lassen, mussten wir nicht selbst bluten.
    Jetzt sollte die schwarze Dänin bluten – noch mehr als Berit. Sollte Angst haben – noch mehr als Berit. Sollte kreischen, in Panik ausbrechen, tiefste Verzweiflung fühlen, auch Ohnmacht, bis sie um Gnade winselte – noch mehr als Berit. Dann würde er niemals wieder an Berit denken oder an die schwarze Dänin. Vor allem würde er selbst niemals dergleichen empfinden. Ja, die Dänin sollte die Beherrschung verlieren, sodass er nichts weiter tun musste, als sich zu bücken, sie aufzuheben und nicht wieder herzugeben.
    Mit erhobenem Kopf und durchgestrecktem Rücken starrte sie ihn an, achtsam, angespannt und berechnend, ob da eine Möglichkeit war, ihn zu überwältigen oder davonzulaufen. Dass sie sich nicht rührte, war wohl der Einsicht geschuldet, dass es keine gab. Noch ausdrucksloser wurde ihre Miene, doch heute ärgerte er sich nicht darüber, sondern frohlockte innerlich. Er hatte genügend Zeit, um Sprünge in das Eis zu schlagen.
    »Komm her!«, forderte er.
    Zu seinem Erstaunen widersetzte sie sich nicht. Sie machte einen Schritt, einen zweiten, ihre Bewegungen waren steif, zumindest die Schritte. Als sie die Hand hob und sich durchs hüftlange Haar fuhr, tat sie es hingegen langsam … geschmeidig …

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