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Melina und das Geheimnis aus Stein

Melina und das Geheimnis aus Stein

Titel: Melina und das Geheimnis aus Stein
Autoren: Marlene Röder
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ist ein Geschenk?
    Erst ein paar Tage später wage ich mich wieder auf den Friedhof. „Wir machen nur einen kurzen Spaziergang“, wiederholt Will, während ich ihm in den Mantel helfe. Die übrigen Kleider hat er vorhin hinter einem Grabstein gewechselt. Pippa und ich haben in eine andere Richtung gestarrt, bis er endlich fertig war.
    „Und was machst du bei unserem Spaziergang?“, frage ich streng.
    Sofort leiert Will herunter: „Ich bleibe in deiner Nähe und ich halte meinen Mund.“
    „Wie oft willst du ihn das noch aufsagen lassen?“, stöhnt Pippa genervt. „Will hat’s kapiert. Jetzt trau ihm doch mal ein bisschen was zu! Guck ihn dir an, er sieht aus wie ein ganz normaler Junge!“
    Will blickt an seinen neuen Klamotten herunter und strahlt. Maiks Hosen sind ihm etwas zu kurz. Die Füße, die unter den Jeans hervorschauen, stecken in alten Flipflops von meinem Vater. Pippa und ich haben vergessen, Will richtige Schuhe zu klauen. Ich zupfe den Mantel zurecht. Die großen Flügel drücken von innen dagegen und beulen ihn am Rücken leicht aus.
    „Na ja, fast normal“, gibt Pippa zu.
    An diesem Oktobertag scheint es, als wäre der Sommer noch einmal zurückgekommen. Der Himmel schmückt sich mit seinem blausten Kleid, aber die Luft ist schon kühl. Auf den Friedhofswegen raschelt das welke Laub, als Will und ich hindurchschlendern.
    Plötzlich bückt Will sich und hebt etwas auf. Der grüne Stachelball ist aufgeplatzt. Vorsichtig befreit Will die Kastanie aus ihrem Schutzpanzer. Dann hält er sie neben mein Gesicht und blickt mich aufmerksam an. „Es hat dieselbe Farbe wie deine Augen“, sagt er und legt mir die Kastanie auf die Handfläche. Sie glänzt im Sonnenlicht. Ich wusste gar nicht, dass ich so schöne Augen habe.
    „Ist das ein Geschenk?“, frage ich, plötzlich verlegen.
    „Geschenk.“ Will schiebt das Wort im Mund herum wie ein Bonbon mit unbekannter Geschmacksrichtung. „Geschenk – was ist das?“
    „Hmm, schwierig zu erklären“, antworte ich und drehe die glatte Kastanienkugel zwischen den Fingern. „Das ist etwas, was dir gehört und was du jemand anderem gibst. Aber nicht weil du das musst, sondern weil du es selbst gerne willst.“
    „Vielleicht weil du die Person gern hast!“, kräht Pippa aus meiner Jackentasche und kichert albern und völlig bescheuert. Zum ersten Mal wünsche ich mir, sie wäre nicht ständig bei mir, da wären nur Will und ich.
    Will lächelt mich an. Seine Augen sind dunkler geworden und haben jetzt fast die Farbe des Himmels. Ein Herbstblau, das einen schwindelig machen kann vor lauter Weite. „Ja, es ist ein Geschenk für dich“, antwortet er.
    „Danke. Das sagt man nämlich, wenn man ein Geschenk bekommen hat. Man bedankt sich bei der anderen Person.“ Ich stecke die Kastanie in die Jackentasche. Nicht in die, in der Pippa sitzt, sondern in die andere.
    „Achtung!“, warnt uns Pippa in diesem Moment. „Da vorne ist jemand!“
    Tatsächlich, da sind die beiden Omas, denen Will neulich beim Versteckspielen einen Riesenschrecken eingejagt hat.
    „Muss ich mich wieder verstecken?“, flüstert Will nervös.
    „Nein, lauf einfach weiter und lass mich machen“, wispere ich und gehe weiter, obwohl mein Herz Trommelwirbel schlägt. Will folgt mir zögernd.
    „Guten Tag“, grüße ich im Vorbeigehen. Oma Elfriede ist damit beschäftigt, das Laub auf dem Grab ihres verstorbenen Mannes zusammenzuharken. Aber die Oma mit den lila getönten Haaren blickt auf. Vor ein paar Wochen ist sie noch schreiend vor dem Friedhofsgeist davongelaufen. Jetzt wünscht sie Will und mir freundlich einen guten Tag.
    Es ist ein guter Tag. Ein superguter sogar! Ich fühle, wie meine Mundwinkel sich heben, als wir um die nächste Kurve biegen und außer Sichtweite sind.
    „Jippie! Du hast den ersten Test bestanden, Will!“, jubelt Pippa. „Die beiden haben nichts gemerkt, die haben dich behandelt wie einen ganz normalen Jungen!“
    Wir stehen jetzt auf dem gepflasterten Platz am Eingang des Friedhofs. Von der anderen Seite des Tores hören wir das Rauschen der Autos und das entfernte Gemurmel von Stimmen. Irgendwo, so weit oben im Blau, dass ihre Körper aussehen wie kleine schwarze Punkte, fliegt ein Schwarm Zugvögel über uns hinweg.
    „Bist du bereit für den Rest der Welt, Will?“, frage ich. In seinem Gesicht kämpfen Angst und Erwartung miteinander.
    „Ja“, antwortet Will. „Ich glaube schon.“
    Ich schaue mich um. Doch zum Glück ist Hubertus nicht
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