Melina und die vergessene Magie
Ernst, dass ich versuchen würde, dich zu betrügen?«
Mit einer schnellen Bewegung ließ Morzena ihre Hände durch die Luft fahren und zischte ein Wort. Silberne Schlangenfesseln sausten durch die Luft und fuhren auf Melina nieder. Gleich darauf konnte sie nicht einmal mehr einen Finger bewegen.
»
Ich
kann Magie gegen sie anwenden, sie hat recht!«, stieß Morzena hervor. »Kannst du mir das irgendwie erklären?«
»Es ist so … Ich konnte dein Kyee nicht über die Krone legen«, sagte Salius mit dünner Stimme. »Das funktioniert nicht. Du bist die größte Zauberin, die diese Welt je kannte. Aber, meine Liebe, du weißt auch, dass du anders bist. Deine Magie verbindet sich nicht mit niedriger Lamunee-Magie.«
Ihre Augen verengten sich. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
Er lachte auf, als ginge es um einen Schulstreich. »Ich wollte dich nicht verärgern, und es bleibt doch dasselbe: Ich habe die Macht über die Zauberer da unten, und ich habe dafür gesorgt, dass sie deinen Befehlen gehorchen …«
»… solange es dir gefällt«, ergänzte Morzena, die langsam begriff. »
Du
hast die Macht! Aber du spielst mir vor, ich hätte sie, weil du meine Magie brauchst, um diese Welt zu verwandeln.«
»Lass dich von diesem Menschenkind nicht aufhetzen.« Salius sprach langsam und deutlich, doch Melina spürte, wie sehr es ihn drängte, von hier fortzulaufen. »Denk logisch! Ich muss jetzt sofort nach der Krone suchen. Dieser ominöse Zauberer kann ja nicht weit sein, und ich
muss
verhindern, dass er sein Kyee über die Krone – und damit über mich und alle Zauberer legt. Dann sind wir beide machtlos!«
Morzena winkte ihn hinaus. »Beeil dich! Aber nimm die Gefangenen mit – bis auf das Mädchen. Wir haben noch zu reden.« Sie warf einen Blick aus dem Fenster. »Die Sonne ist schon fast untergegangen. Wir kommen gleich nach, dann können wir mit der Zeremonie beginnen.«
Salius nickte grimmig, ergriff Tann und Erel an ihren Schlangenfesseln und zerrte sie hinter sich her.
»Denk dran«, wagte Melina zu sagen, »wenn du einem von uns etwas antust, wird die Kyee-Krone zerstört!«
Salius schnaubte. »Niemand kann eine Kyee-Krone zerstören – außer dem, der sie geschaffen hat. Und das bin immer noch ich.«
Morzena
Morzena ging im Kreis um ihre Gefangene herum. Als Melina ihr mit den Blicken folgen wollte, spürte sie ein heißes Brennen an der Schulter.
»Halt still«, sagte Morzena. »Sie wird deiner Haut nicht schaden. Es muss ein bisschen wehtun, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst, das verstehst du doch …«
Melina versuchte die lebendige Fessel anzusehen, ohne sich allzu sehr zu bewegen. Das Ding wand sich eng um ihren Körper herum und zischte dabei wie eine echte Schlange.
»Versuch es erst gar nicht«, ermahnte sie Morzena. »Sie ist kein Wesen ohne Kyee, sondern einfach ein Tier, das mir gehorcht.«
Sie betrachtete Melina eingehend, und diese erwiderte den Blick der intelligenten grauen Augen. Es war, als wollte Morzena ihre Seele erforschen, aber Melina versuchte umgekehrt dasselbe. Wer war diese ungewöhnliche Frau? Nach außen wirkte sie herrisch und selbstbewusst, eine geborene Anführerin. Aber war das die ganze Wahrheit?
»Du bist also ein Mensch! Das Mädchen, das durch das Tor kam. Salius hielt dich für tot. Warum bist du es nicht?«
Morzenas Frage klang keineswegs unfreundlich, eher interessiert.
»Ich habe den Wächter zurück in die Zwischenwelt geschickt«, erwiderte Melina.
Morzenas Lachen klang, als wollte sie damit ihre Angst unterdrücken. »Du hast einer Schattenkatze Befehle erteilt? So wie den Chulus und den Spionvögeln?
Einem Wächter?
«
Melina nickte, während Morzena die Stirn runzelte.
»Woher hast du solche Macht? Hat dir jemand verraten, dass du … Hat Salius dir irgendwelche Versprechungen gemacht?«
Melina spürte, dass Morzena vor Neid und Misstrauen platzte, und aus Furcht vor ihr schwieg sie. Schließlich konnte die Zauberin sie mit einer kurzen Handbewegung in ein Häufchen Asche verwandeln. Dennoch wurde Melina bewusst, dass sie soeben einen Blick auf die Schwäche ihrer Gegnerin geworfen hatte.
»Mach den Mund auf!«, rief Morzena ärgerlich. »Wer hat dir gesagt, dass du hier Macht hast?«
»Keiner«, erwiderte Melina. »Ich habe es selbst herausgefunden: Menschen haben ungeahnte Fähigkeiten in Lamunee.«
Morzena machte eine unwirsche Handbewegung.
»Erzähl mir etwas Neues! Natürlich haben wir das! Wie sonst hätte ich diese
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