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Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Titel: Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Lüer
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Arm! Sein Kamm war blutrot und das Gefieder schimmerte mit einem Hauch Grün über dem Schwarz.
    „ Miranda! Woher hast du denn den hier her? Und wie geht es dir heute Morgen?“
    „ Du meinst wohl heute Mittag “, korrigierte sie mich. „Es geht mir gut.“
    Ganz überzeugend klang das allerdings nicht. Sie hatte ein ziemliches Veilchen am linken Auge, und mir fielen mehrere Kratzer an ihren Händen auf. „Also, nun sag schon, wo kommt der Hahn her? Er wird wohl kaum über unseren Zaun geflogen sein, hat dann die Tür zum Kaninchenstall aufgemacht und beschlossen, mal woanders zu übernachten.“
    Ihr Gesicht verschloss sich. Sie druckste herum und sagte dann: „Er ist hier auf der Straße herumgeirrt, als ich nach Hause kam. Mir fiel auf, dass sein Flügel etwas hängt und ich habe ihn mit reingenommen, damit er nicht unters Auto kommt. Hier ist er sicher.“
    Nun, nicht nur der Hahn war „sicher“. Sicher war auch, dass mein Mädchen schon wieder log. Was hatte es mit diesem Tier auf sich? Ich verstand nicht viel von Tieren, von Geflügel schon gar nichts (es sei denn, es wäre gerupft und zum Braten bereit), aber dieser stattliche Hahn sah irgendwie wertvoll aus.
    „ Komm rein, ich will mit dir reden und auch was essen.“ Ohne Protest sperrte sie ihren neuen Schützling in den Käfig und folgte mir ins Haus. Leider bekam ich nicht viel aus ihr heraus. Wo sie in der Nacht gewesen war, wollte sie nicht sagen. Auch bagatellisierte sie ihre Verletzungen. Sie log, aber warum? Schützte sie sich selbst oder jemand anderen? Ich konfrontierte sie mit meinem Wissen um das Schulschwänzen und machte ihr klar, dass ich sie in der kommenden letzten Schulwoche hinfahren und auch abholen würde, ob ihr das nun passte oder nicht. Seltsamerweise begehrte sie nicht dagegen auf, sondern schien sogar ein wenig erleichtert zu sein. Auch gegen den Sommerferien-Hausarrest protestierte sie nicht ernsthaft. Höchst merkwürdig. Miranda zeigte sich insgesamt höchst kooperativ. Sie erbot sich sogar, den Geschirrspüler aus- und einzuräumen und machte sich flink und geschickt an die Arbeit. Nun war ich mir sicher, dass etwas faul war, oberfaul sogar! Mit einem gerüttelt Maß an Argwohn schaute ich meiner Tochter hinterher, als sie die Treppe hochging und in ihrem Zimmer verschwand.
    Ich fühlte mich erschöpft und beschloss, unter die Dusche zu gehen. Heiß sollte das Wasser sein, dampfen sollte das Bad. Und ich würde das neue Duschgel ausprobieren. Jetzt war der beste Moment dafür. Ein zitronig-holziger Duft wäre jetzt schön, oh ja. Als ich mich halb entkleidet hatte, klingelte das Telefon. Herrgott noch mal! Musste das jetzt sein, gerade jetzt? Ich warf mir schnell was über und rannte mit nackten und noch trockenen Füßen über die Diele ins Wohnzimmer. Etwas außer Atem drückte ich den grünen Knopf.
    „ Winter am Apparat.“
    „ Melissa, bist du das?“, fragte eine Altmännerstimme.
    „ Onkel Walther! Ja, ich bin´s. Hier ist Melissa.“ Mir fiel siedend heiß ein, dass ich ihn längst wegen Mutter hatte anrufen wollen.
    „ Hör mal, Melli. Ich rufe wegen deiner Mutter an.“
    Ich stutzte. Das konnte doch nichts Gutes bedeuten. Eigentlich war ich doch diejenige, die das tun wollte, aber … Hier stoppte ich die aufkommende Gedankenflut und zwang mich, ihm konzentriert zuzuhören.
    „ Was ist mit Mutter?“
    „ Ich dachte, es ist besser, wenn du weißt, dass sie nicht mehr ganz beisammen ist.“
    „ Wie meinst du das?“
    „ Najaaa“, sagte er gedehnt. „Sie wird wunderlich. Wir reden ja nicht mehr viel miteinander, aber ich sehe sie oft. Neulich ist sie zum Beispiel im Nachthemd einkaufen gegangen. Aber Frau Gutersson vom Supermarkt hat sie nach Hause gebracht. Sie hat auch dafür gesorgt, dass die Leute vom Diakonischen Dienst öfter nach ihr sehen. Aber es soll wohl alles recht bedenklich sein, hat mir die Gutersson erzählt. Demenz oder so. Vielleicht solltest du mal nach dem Rechten schauen. Möglicherweise wäre es für deine Mutter besser, im „Altenzentrum Westerland“ zu sein.“
    „ Oh, das sind wirklich schlechte Nachrichten, Onkel Walther. Danke, dass du mich angerufen hast. Ich hatte schon vorgehabt, mit dir über Mama zu sprechen, weil sie am Telefon manchmal wirklich seltsam ist und Dinge behauptet, die so nicht sein können. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es schon so schlimm um sie steht. Ich kann hier allerdings zurzeit nicht für länger weg, aber ich werde Mama anrufen und ihr

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