Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
wollte ihnen seine Wurzeln zeigen, die zum kleineren Teil ja auch ihre Wurzeln sind. Miranda war wie er in der Zeit der fallenden Blätter geboren. Ihr beider Totemtier ist der Rabe. Hannah wurde in der Zeit der stürmischen Winde geboren , sie hat als Totemtier den Wolf, was dem hiesigen Sternbild der Fische entspricht.
Ich fragte mich, ob wir jemals genug Geld übrig haben würden für diese Reise. Unsere Töchter wurden jetzt langsam erwachsen. Ob sie später noch mit uns würden reisen wollen? Hatte sich vielleicht das Zeitfenster dafür schon geschlossen? Möglicherweise war ihnen ihr indianisches Erbe nicht mehr wichtig. Robert war es wichtig. Er hatte immer noch Angehörige dort und hielt den Kontakt.
Das Zirpen der Grillen in dieser Sommernacht hatte etwas Magisches. Ich lauschte ihnen entspannt und ließ mich langsam in den Schlaf gleiten. Bevor ich endgültig in die Nacht eintauchte, dankte ich Manitu dafür, dass Robert die Sache mit dem Schulschwänzen nicht aus der Fassung gebracht hatte, als Miri es ihm beim Abendessen kleinlaut beichtete.
Schwarze Flügel schlagen
Sonntagsfrühstück. Auf dem Tisch standen warme Brötchen, Butter, Honig, Käse und Bratenaufschnitt. Der heiße Kaffee duftete, für Miri hatte ich grünen Tee aufgebrüht. In den wie kleine Mützen geformten Porzellan-Eierbechern harrten braunschalige, hartgekochte Eier darauf, dass wir ihnen die Schale aufklopften, um den Inhalt zu genießen, mit einer Prise Kräutersalz gewürzt. Nichts fehlte. Nichts, außer Hannah. Es war wieder ein warmer Tag. Die Vögel hatten ihr Morgenkonzert längst beendet und waren nun auf Futtersuche oder gaben ihrem Nachwuchs Flugunterricht.
Robert und Miri plauderten draußen im Garten bei ihrer Pflegestation. Der Hahn hatte uns heute in der Früh aus dem Schlaf gerissen. Während ich Orangensaft in einen Krug füllte dachte ich, wir müssen unbedingt im Ort nachfragen, ob jemand sein Federvieh vermisst. Zu gern hätte ich gewusst, was mit Miri in der Nacht geschehen war, aber ich wollte nicht in sie dringen, sie musste von allein kommen und erzählen. Was immer vorgefallen war, es hatte sie verändert.
„ Frühstück ist fertig!“, rief ich nach draußen.
Als ich die Porzellanbecher mit unseren Getränken füllte, nahmen sie am Tisch Platz.
„ Wollen wir heute etwas unternehmen?“
Robert schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Muss den Bürokram machen.“
„ Übrigens, es gibt ein Problem mit Mutter. Ich habe gestern mit Onkel Walther telefoniert. Er sagt, sie hätte wohl Demenz. Neulich sei sie im Nachthemd einkaufen gegangen und überhaupt wäre ihr Zustand besorgniserregend. Sie würde auch von der Diakonie betreut.“
„ Oma ist krank? Was ist Demenz? Und wieso geht sie im Nachthemd nach draußen? So richtig auf die Straße, wo alle sie sehen können? Das glaube ich nicht, sie ist doch so auf Etikette bedacht.“ Miri sah richtig besorgt aus. Sie liebte und verehrte ihre Großmutter.
„ Also, wir wissen nicht wirklich, ob sie an Demenz erkrankt ist, das kann nur ein Arzt feststellen. Aber es sieht sehr danach aus. Weißt du, wenn Menschen alt werden, kann es passieren, dass ihr Gehirn nicht mehr gut funktioniert. Sie bringen alle möglichen Dinge durcheinander, suchen ständig was, können sich nicht mehr gut erinnern, was die nahe Gegenwart angeht. An alte Zeiten können sie sich fast immer gut erinnern, nur nicht an das, was gestern oder heute war“, versuchte ich zu erklären, ohne Miri unnötige Angst zu verursachen.
Robert bestrich sich das zweite Brötchen dick mit Butter und Honig. „Ich meine, wir sollten uns selbst einen Eindruck von ihrem tatsächlichen Zustand verschaffen. Dein Onkel Walther in Ehren, aber er ist selbst ein alter Mann. Ein sehr alter Mann. Wer weiß, ob das alles so stimmt, was er dir erzählt.“
Ich nickte nachdenklich. „Gut möglich. Ich kann aber nicht mitten in der Gartensaison für länger wegfahren. Außerdem muss ich Miri zur Schule fahren und abholen, bis die Ferien beginnen. Das habe ich dem Klassenlehrer versprochen.“
„ Was schlägst du vor?“, fragte Robert. „Irgendwas müssen wir unternehmen. Wir sind ihre einzigen Verwandten.“
Das war einer der Gründe, weshalb ich meinen Mann so sehr liebte. Sein Verantwortungsgefühl der Familie gegenüber war groß und tief. Bei ihm war man wirklich sicher. Seine Liebe und Fürsorge beschränkte sich nicht auf mich und die Mädchen.
„ Ich würde sie gern den Sommer hier
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