Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
geleistet. Miri arbeitet im Unterricht viel besser mit, ist freundlich und zugewandt. Sogar die Hausaufgaben macht sie regelmäßig. Welche Wundertherapie war das denn?“
Ich grinste in mich hinein. „Nun ja, wir haben sie zu Dr. Ally Paka geschickt.“ ( Den Namen „Ally Paka“ versuchte ich, mit möglichst amerikanischem Akzent auszusprechen.) „Ein Therapeutenteam aus den Anden, um genau zu sein. Kommen Sie doch bei Gelegenheit auf eine Tasse Kaffee vorbei. Ich stelle Sie gerne vor.“
„ Das Team wohnt bei Ihnen?“, fragte er verblüfft.
„ Ja. Sie werden von ihnen begeistert sein, das verspreche ich.“
Herr Reimann verabschiedete sich von mir mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck. Fast hätte er mir leidgetan, weil ich ihn veräppelt hatte. Aber ich war heute so gut gelaunt, dass ich mir etwas Spaß erlaubte. Der Grund für meine außergewöhnliche Stimmung war, dass ich einen lukrativen Auftrag für eine Kinderbuchreihe erhalten hatte. Zwölf Cover und zahlreiche Innen-Illustrationen sollte ich anfertigen. Ach, ich freute mich so sehr auf die Arbeit! Für jeden Monat des Jahres ein Buch, so war es geplant. In zwei Monaten schon sollte das erste Buch in den Druck gehen. Mit Schwung schloss ich den Kofferraum und schob den Einkaufswagen zurück zu seinen Gefährten, die angekettet in langen Reihen standen, so wie Galeerensträflinge. Aus einem Impuls heraus schob ich ihn in die Reihe, kettete ihn aber nicht an, damit er die anderen mutig und selbstlos retten konnte, wenn das feindliche Schiff mit Rammgeschwindigkeit Tod und Unheil brachte….
Herrje! Ich fing schon wieder an, die reale Welt mit inneren Bildern zu vermischen. Ben Hur im Supermarkt! Über mich selber lachend, holte ich mir nun doch meinen Chip zurück und ging beschwingt zu meinem Auto. Da war es wieder, dieses Prickeln in mir, dieses Fließen und Formen. Hätte ich doch nur meinen Laptop dabei, oder wenigstens Papier und Bleistift! Oh ja. Ich konnte es vor mir sehen. Galadriel, unser Lieblingsalpaka. Im weißen Kittel. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Ally Paka, Therapeutin von Beruf. Sind Sie müde und beladen? Haben Sie Berührungsängste? Sind Sie vielleicht nervös und ängstlich? Kommen Sie einfach zu mir, Sie dürfen mir um den Hals fallen und mich knuddeln. 3 x die Woche, in ernsteren Fällen auch jeden Tag außer sonntags. Ich versichere Ihnen, der Therapieerfolg wird sich dank meiner weichen Wolle und meiner sanften, liebevollen Blicke aus braunen Knopfaugen sehr schnell einstellen.
Ich stieg ins Auto und schnallte mich an. Das war eigentlich eine gute Idee. Nein, nicht eigentlich , sondern wirklich gut. Warum sollte ich nicht ein Kinderbuch über die Alpakas machen? Und überhaupt… Kinder und Alpakas. Da hatte ich doch neulich im Radio etwas darüber gehört, dass man Alpakas auch zu Therapietieren ausbilden konnte. Das wäre auch noch eine Möglichkeit für Miranda. Später. Wenn sie die Schule abgeschlossen hatte und sich wirklich eine Existenz mit ihren Alpakas aufbaute. Ich atmete mehrmals tief durch, um mich zu sammeln und aus der fließenden Welt der Bilder und Worte wieder herauszukommen. Schließlich hatte ich jetzt ein Auto zu fahren, und musste ein vollkonzentrierter Verkehrsteilnehmer sein. Mit leisem Bedauern gab ich mich der realen Welt hin, und fuhr wie geplant zum Pflegeheim, meine Mutter besuchen, die sich schon auf ihre Fotoalben und die Bettwäsche freute.
Aus Mirandas Tagebuch
Man sollte es nicht glauben, aber Lehrer können total nett sein. Herr Reimann ist neulich gekommen, weil er „das Therapeutenteam“ kennenlernen wollte. Als er Mamas Scherz begriffen hatte, musste er ganz laut lachen, er konnte sich kaum noch einkriegen. Seine Frau fand das auch komisch. Die Beiden haben mit uns in der Küche dann noch Kaffee getrunken. Den Kuchen dazu hatte ich selbst gebacken. Ist ja nicht so, dass nur Mama und Hannah was Anständiges auf den Tisch zaubern können.
Frau Reimann könnte ich knutschen. Als sie von meinen Plänen hörte, dass ich nach der Schule mit den Alpakas mein Geld verdienen will, so richtig mit eigener Firma und so, da knuffte sie ihren Berti (offenbar heißt der Reimann Herbert, wusste ich noch gar nicht) heftig an den Arm und sagte immer bei jedem Knuff: „Du, deine Tante, weißt du noch? Deine Tante!“ Ich kapierte erst gar nicht, was sie hat, aber dem Reimann ging sofort nicht nur ein Licht, sondern ein ganzer Kronleuchter auf. Kurzgesagt: seine alte
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