Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
und mehr die Kontrolle über seinen Konsum verloren und geriet in einen Sog nach unten. Bis er schließlich von seinen Eltern in eine Klinik gebracht wurde.
Dass er mir das verschwiegen hatte. Ich war fassungslos gewesen über diesen Mangel an Vertrauen. Machte ihm Vorwürfe und wollte wissen, was er mir denn noch alles verschweigen würde? Ein Wort gab das andere. Und als er mich fragte, ob ich ihn denn geheiratet hätte, mit diesem Wissen über seine Suchtneigung, da konnte ich ihm keine Antwort geben. Ich starrte ihn nur an und bekam den Mund nicht auf. Siehst du, sagte er, so groß wäre deine Liebe zu mir dann doch nicht gewesen. Sprach´s, drehte sich wortlos um und ließ mich im Wohnzimmer stehen. Dann hörte ich nur noch die Tür zuklappen und die quietschenden Reifen.
Ich nahm einen weiteren tiefen Schluck aus der Flasche, rollte mich im Sessel zusammen und versank in dumpfes Brüten. Was geschah nur mit uns? Man sollte meinen, dass die Tage des schwarzen Hahns überwunden seien. Davon, dass der ältere Rabe mich und die Mädchen verlassen würde, hatte nichts in Miras Prophezeiung gestanden. Verfluchter Rabe! Wie kannst du mir das nur antun? Wut wallte in mir auf. Tausend Gedanken kamen mir in den Kopf und rangen miteinander um meine Aufmerksamkeit. Was würde aus der Firma werden? Konnte ich sie auch alleine führen? Mit Robert fiel eine Ganztagsarbeitskraft aus, und weitaus mehr. All sein Fachwissen! Das konnte der Geselle, so zuverlässig und fleißig er auch war, nicht ersetzen. Ich konnte nicht Robert ersetzen. Denn ich hatte weder das Wissen, noch die Muskelkraft und schon gar nicht die lange Erfahrung. Aufgebracht stellte ich die Weinflasche auf den kleinen Tisch neben das Telefon und saß dann kerzengerade. Ob er auch das Konto geplündert hatte?
Gott sei Dank klingelte in diesem Moment das Telefon, sonst hätte ich mich noch weiter in mein Elend hineingesteigert. Herrje, Melissa, reiß dich zusammen, du weißt doch gar nicht, ob er wirklich für immer weg ist, rief ich mich zur Ordnung. Ich holte tief Luft und nahm das Gespräch an.
„ Winter.“
„ Mama, hallo! Der Zug fährt in fünfzehn Minuten in Stuttgart ein. Holst du uns ab?“
„ Miri, Papa ist noch mit dem Auto unterwegs, fährst du bitte mit der S-Bahn nach Endersbach weiter, ich hole dich dort mit dem Transporter ab, okay?“
„ Ja, wird gemacht, alles klar. Bis später dann!“
Großer Gott, ich hatte das ganz vergessen. Es war ja bereits Sonntagabend und Miri kam nach Hause. Und ich dumme Nuss trinke Wein! Hoffentlich geht das gut und die Polizei erwischt mich nicht. Dann stutzte ich. Hatte Miri „uns“ gesagt, holst du uns ab? Wer war denn bei ihr? Oder hatte ich mich verhört? Eilig sammelte ich meine Gartenstiefel ein, warf die nunmehr leere Weinflasche zum Altglas und lief dann die Treppe hoch, um meine Zähne zu putzen und mir die Haare zu kämmen. Ein Blick auf meine Fingernägel sagte mir, dass diese dringend einer Bearbeitung mit Bürste und Seife bedurften. In Rekordzeit machte ich mich vorzeigbar, stopfte in der Küche noch schnell ein paar Trostkekse in den Mund, damit ich wenigstens etwas im Magen hatte außer Wein, und schnappte mir die Wagenschlüssel und fuhr los. Ich warf noch einen Blick in den Rückspiegel Richtung Streuobstwiese und zählte rasch die Alpakas durch. Fünf. Gut.
Zur selben Zeit …
Robert stand vor der Grabkapelle auf dem Württemberg. Seit er vor drei Tagen das Lindenhaus verlassen hatte, war er ziellos umhergefahren auf der Flucht vor seinen inneren Dämonen. Sie saßen ihm hämisch grinsend im Nacken und sprachen mit der rauen Stimme seines Vaters. Du bist ein Feigling, Sohn. Wenn es hart auf hart kommt, läufst du weg! Ich schäme mich, dein Vater zu sein. Robert konnte noch so sehr aufs Gaspedal treten, die Erinnerungen holten ihn gnadenlos ein. Vater hat völlig Recht, dachte Robert. Ich laufe davon. Weil ich die Wahrheit nicht hören will. Melissa kann mich nicht mehr lieben, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich bin ein verabscheuungswürdiger Feigling und Lügner. Ich hätte es ihr sagen müssen. Ich hätte ihr die Wahl lassen müssen!
Der Sturm in seiner Seele war nicht minder heftig als der, der um die Ortschaft Rotenberg herum toste. Der Wind tat ihm gut, er hielt ihn wach. Seit er davongefahren war, hatte er kaum Schlaf finden können. Im Auto lag Melissas Jacke, die nach ihrem Parfüm duftete. Er hatte nachts seinen Kopf darauf gebettet, in der Hoffnung,
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