Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
Höchste Zeit, den Plumpudding zu kochen. Und schau mal, da oben im Baum! Dort sitzt ein Rabe. Vielleicht soll er dir was sagen?“
Robert löste sich aus meinen Armen, drehte sich zu mir um und sagte: „Nein, die Zeit des Raben ist vorbei. Es ist ein Abschied für immer.“ Dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und küsste mich leidenschaftlich. Ich antwortete darauf mit ebensolcher Intensität, aber leider wurden wir allzu bald vom Gezanke unserer Töchter gestört, die die Treppe heruntergepoltert kamen.
„ Und ich tu das nicht! Darauf kannst du einen lassen!“, schrie Hannah.
„ Warum nicht, Herrgott noch mal? Dieses eine Mal kannst du wohl alleine rausgehen!“
„ Was heißt hier „dieses eine Mal“, hä? Das wäre schon das vierte Mal, du faules Stück.“
„ Ach, ist doch gar nicht wahr, du übertreibst wieder maßlos! Außerdem muss ich zur Schule, während du hier nur zuhause rumhängst.“
„ Ich hänge hier nicht rum, ich arbeite! Du hast doch noch nie gearbeitet in deinem Leben, du weißt doch gar nicht, was das ist, arbeiten…!“
Robert ließ mich mit einem Ausdruck des Bedauerns los und ging in die Diele, um sich in den Streit einzumischen. „Hört alle beide sofort auf, hier rumzuschreien! Worum geht es hier überhaupt, zum Donnerwetter? Ihr könnt doch nicht so rumbrüllen wie, wie, wie … Brüllaffen! “
Hannah zeigte empört mit dem Finger auf ihre Schwester. „Sie will kein Heu verteilen, und kein Wasser bringen. Außerdem fehlt das Mineralpulver, sie hat es immer noch nicht gekauft. Ich denke ja gar nicht daran, schon wieder ihre Pflichten zu übernehmen, es sind ihre Tiere, nicht meine!“
„ Miranda, was muss ich da hören? Stimmt das etwa?“
Miri druckste herum und schaute zu Boden. „Ich bin spät dran, ich muss zur Schule.“
„ Du hast nicht einmal gefrühstückt“, schaltete ich mich ein.
Trotzig schaute sie mir in die Augen. „Dann gehe ich eben ohne Frühstück los und kauf mir was unterwegs.“ Sie sprang die letzten Stufen von der Treppe und zog sich ihre Stiefel an. Robert stellte sich zwischen sie und die Tür und fixierte sie. „Glaub ja nicht, dass du uns so davonkommst. Das wird erst geklärt.“
„ Aber dann komme ich zu spät!“, jammerte Miri.
„ Dann lauf eben schneller zum Bus, Tochterherz. Was hast du mir damals versprochen, als wir zusammen auf der Alpakafarm waren? Hm? Was?“
Genervt stieß Miri die Luft aus und verdrehte ihre Augen und leierte ihre Antwort herunter. „Dass ich immer gut für die Tiere sorgen würde, dass ich mich der Ehre und Verantwortung als würdig erweisen würde.“
„ Genau. Aber das hier heute Morgen hat sich nicht danach angehört.“
„ Du hast Recht, entschuldige bitte, Papa. Hannah, würdest du bitte ein letztes Mal dich allein um die Tiere kümmern? Ich mache das auch wieder gut. So, und jetzt muss ich wirklich los zur Schule!“
Das nächste, was wir von ihr hörten, war das Zuschlagen der Haustür. Wumm.
Robert seufzte tief und zog seine Arbeitsschuhe an. „Hannah, das erledige ich selbst heute Morgen. Du hast im Büro genug zu tun. Das hättest du uns eher sagen sollen, dass Miri ihren Pflichten nicht nachkommt. Das darf erst gar nicht einreißen. Seit wann geht das so?“
„ Das kann ich dir genau sagen: seit sie einen Freund hat.“
„ Einen Freund? Und warum erfahre ich das nicht? Melissa!“
Ich zuckte mit den Schultern. „Schau mich nicht so vorwurfsvoll an, davon wusste ich auch nichts. Hannah, woher weißt du das denn?“
Hannah ging in die Küche voraus und begann, den Tisch für uns drei zu decken. „Ich habe sie mit ihm telefonieren hören. Sie glaubt wohl, es wäre ein Geheimnis, ist es aber nicht. Wollt ihr wissen, wer es ist?“
„ Da fragst du noch? Natürlich!“, sagten Robert und ich unisono.
„ Der Typ, der das Heu liefert. Ich habe gesehen, wie er sie küsst, bevor er weiterfährt.“
„ Na toll“, brummte Robert und verließ dann das Haus, um die Alpakas zu versorgen.
Nach dem Frühstück mit Hannah machte ich mich daran, endlich den Plumpudding zu kochen, es war allerhöchste Zeit dafür. Eigentlich isst man den üblicherweise zu Weihnachten, aber da wir auch immer Stollen für die Festtage backten, verschoben wir den Pudding auf den Jahreswechsel. Ich befreite das Rindsnierenfett von allen Häuten und drehte es dann durch den Fleischwolf. Hannah hatte ganz Recht – es war eklig, definitiv. Ich vermischte es dann in einer großen
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