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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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fortführte, so scherte es mich keinen Deut, auf welche Weise dies wohl enden mochte.
    Inmitten so zeitweilig hochgestimmter Verzweiflung, in einem Zustand also, darin der Kleinmut dem Mut die Hand reicht, gewahrte ich einen schwachen Lichtschimmer. Im Näherkommen gewahrte ich, daß dies Licht durch die breiten Fugen einer Tür fiel, deren Gefüge infolge der unterirdischen Feuchtigkeit nachgegeben hatte und mir auf diese Weise einen so umfassenden Einblick in das dahinter befindliche Gemach gewährte. Zwischen einigen Landkarten und Erdgloben gewahrte ich mehrere Instrumente, deren Verwendungszweck zu erkennen mir meine damalige Unwissenheit noch nicht gestattete, über die ich aber heute weiß, daß sie zum Teil der Anatomie dienten. Auch waren da ein Elektrisierapparat sowie ein kurioses Elfenbein-Modell einer Folterbank. Bücher gab es nur wenige, doch lag da eine Reihe von Pergamentrollen, welche große, in Mennige und Ocker ausgeführte Charaktere aufwiesen. An jeder der vier Wände aber war eines der im ganzen vier Totengerippe postiert, keines jedoch in einem Glaskasten, sondern jedes in einer Art aufrecht stehendem Sarg, was der knöchernen Hohlheit eine Bedeutsamkeit verlieh, so als wäre dies klapprige Totengebein der eigentliche und rechtmäßige Hausvater so beispiellosen Gemäuers.
    Am Ende eines Tisches saß ein sehr alter, in ein langes Gewand gehüllter Mann. Auf dem Haupt trug er ein Käppchen von schwarzem Samt, das mit einer breiten Pelzverbrämung besetzt war. Seine Augenbrille war so groß, daß sie beinahe das ganze Gesicht einnahm, welches über mehrere Pergamentrollen gebeugt war, die der Lesende mit vor Eifer bebender Hand um und um wandte. Dann, indem er seinen Tischgenossen, nämlich einen Totenschädel, mit Fingern ergriff, welche kaum weniger knochig und um nichts weniger gelblich waren, schien er denselben ernsthaft anreden zu wollen. Angesichts dieser höllischen Orgie war mir alle Angst um mein eigenes Schicksal vergangen. Während ich aber so vor der Tür kniete, machte mein lange unterdrückter Atem sich in einem Stöhnen Luft, welches alsbald an das Ohr der am Tisch sitzenden Gestalt drang. Unverzüglich überwand die dem Mann eigene Wachsamkeit alle Gebrechen des Greisenalters, welche ihm sonst anhaften mochten, und so wurde die Tür aufgerissen, noch ehe ich mich dessen recht versehen: ich fühlte meinen Arm von einer Hand gepackt, welche unter aller Runzlichkeit des Alters nichts von ihrer Kraft eingebüßt hatte, so daß ich mich in den Krallen eines wahrhaftigen Teufels zu befinden wähnte.
    Nachdem der Alte die Tür wieder geschlossen und verriegelt hatte, herrschte er mich an: ›Wer bist du, und von woher kommst du?‹ Ich wußte kein Wort zu sagen und starrte nur unverwandt auf die Knochengerippe. ›Halt ein‹, gebot mir da die Stimme. ›Und wärst du am Ende deiner Kräfte, und bedürftest des labenden Trunkes, nun denn, so nippe von diesem Becher, und sein Inhalt wird dich erquicken, als wär’ es der feurigste Bergwein. Wahrlich, wie ein Wasser wird er deinem Gedärm sein, und wie ein Öl deinem Gebein.‹ Dies gesagt, bot er mir einen Becher mit irgendeiner Flüssigkeit zum Trunk an.
    Mit unaussprechlichem Entsetzen stieß ich Hand wie Becher zurück, befürchtend, derselbe enthielte irgendein verzauberndes Getränk. ›Mitnichten, du Versucher, spar dir dein höllisches Gift für die aussätzigen Lippen deiner dienstbaren Geister, oder stürz es selbst hinunter! Zwar bin ich eben erst den Fängen der Inquisition entkommen, doch wollte ich tausendmal lieber als ihr Opfer dahin zurückkehren, als aus freien Stücken das deine werden!‹
    Während ich dies alles aus mir hervorstieß, betrachtete mich mein greiser Widerpart mit so gelassener Verwunderung, daß ich mich meiner Ängste schon zu schämen begann, noch ehe ich mit deren Äußerung recht zu Rande gekommen war.
    ›Wie!‹ sprach er schließlich, durch einige meiner Ausrufe sichtlich zutiefst betroffen. ›So wärest du entkommen dem Arme, der seinen Streich in der Finsternis führt – dem Arme der Inquisition? Und wärest der nazarenische Jüngling, der Obdach und Zuflucht gesuchet im Hause unseres Bruders Salomon, Sohn des Hilkaia, welcher von den Götzenanbetern dieses Landes seiner Gefangenschaft Fernan Nunez genannt wird? Wahrlich, noch diese Nacht wirst du von meinem Brot gegessen, von meinem Becher getrunken haben und zu meinem Schreiber geworden sein, dieweil unser Bruder Salomon von dir gesagt,

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