Melmoth der Wanderer
›Seine Feder ist wie die Feder Eines, der da Bücher schreibt‹.‹
Voll des Staunens blickte ich den Sprecher an. Eine vage Erinnerung an Salomons Absicht, mir irgendeinen sicheren und verschwiegenen Zufluchtsort enthüllen zu wollen, ging mir durch den Sinn. Und obschon der Anblick der einzigartigen Umgebung mich ebenso schaudern machte wie die Beschäftigung, mit welcher der Alte befaßt schien, fühlte ich doch über meinem Herzen jene Hoffnung schweben, die aus meines Gegenübers Wissen um meine gefährliche Lage gekommen war.
›So laß dich nieder‹, sprach er voll Mitleid, da er mich bleiern vor Müdigkeit zusammensinken sah. ›Laß dich nieder und iß von dem Brot einen Bissen, trink von dem Wein einen Becher und gönne Ruhe deinem Herzen, dieweil du einherwandelst, als wärest du entgangen der Schlinge des Vogelstellers und dem Wurfspeere des Jägers.‹
So nahm ich denn von dem Dargebotenen, indem ich mich bei jedem neuen Bissen bekreuzte, und stürzte infolge des fiebrigen Durstgefühls, das mir all die Furcht und der Schrecken verursacht hatten, den Wein wie Wasser hinunter, jedoch nicht ohne ein innerliches Stoßgebet, er möchte sich mir nicht in irgendein teuflisch-giftiges Getränk verkehren. Dabei ruhte der Blick Adonaias, des Jüden, mit zunehmendem Mitleid, dem sich etwas wie Verachtung paarte, auf mir.
›Was ficht dich an?‹ so frug er. ›Wäre ich besessen von der Macht, welche der Ohngläubigen Aberglaube mir zuschreibt, wahrlich es fiele mir leicht, dich den Teufeln zum Fräße vorzuwerfen, anstatt dich zu speisen und zu tränken. Brächte ich da nicht aus den Tiefen der Erde die Stimme jener zum Ertönen, so da schmachten müssen, wo ›Heulen und Zähneknirschen‹ sind in Ewigkeit, anstatt dich anzusprechen mit der Stimme des Menschen? Wohl bist du in meine Macht gegeben, doch ist diese Macht nicht willens, dir ein Leides zu tun. So erlabe dich denn ohne Furcht in diesem Gewölbe, iß und trink, auch wenn es im Gewölbe Adonaias des Jüden ist. Hättest du dies auch unterm Dache der Nazarener wagen dürfen, so hätten meine Augen dich nimmermehr hier erblickt. Bist du nun gesättigt?‹ fügte er hinzu, und ich nickte. ›Dein Durst, ist er gestillet?‹ Ich aber, da mein quälender Durst sich erneut meldete, reichte ihm den Becher.
Er lächelte, doch hat es mit dem Lächeln des Greisenalters – diesem Lächeln von Lippen, darüber wohl mehr als hundert Jahre hinweggegangen, etwas Abstoßenderes und Gräßlicheres auf sich, als man gemeinhin ermessen mag. Niemals ist es ja das Lächeln der Freude, sondern vielmehr ein Stirnrunzeln des Mundes, und so schrak denn auch ich im Innersten davor zurück, während der Jude weitersprach: ›Da du nun gespeiset bist und getränket, ist es für dich an der Zeit, auch auszuruhen. So komm denn mit mir zu deinem Ruhelager. Und mag es auch härter sein als jenes, so man dir in deinem Kerker gegeben hat, so wird es doch sicherer sein.‹
Ich folgte ihm durch ein Gewirr von Gängen, welche so gewunden und verzweigt waren, daß eben diese Wirrnis all die Verwirrung der nächtlichen Ereignisse in mir löste, indem sie mir die wohlbekannte Tatsache in Erinnerung rief, daß die Häuser der Jüden in Madrid durch unterirdische Gänge miteinander verbunden sind, welche bislang allem Fleiß der Inquisition gespottet haben. Und so schlief ich diese Nacht, nein, diesen Tag (denn die Sonne war inzwischen aufgegangen) auf einem Strohsack, den man auf den Boden einer engen, doch luftigen Kammer gelegt hatte, die bis zur halben Höhe mit Matten ausgekleidet war. Durch ein schmales, vergittertes Fenster strahlte die Sonne herein, welche über der ereignisreichen Nacht heraufgestiegen war.«
VIERZEHNTES KAPITEL
Unde iratos deos tirrtent, qui sie propition merentur? [8]
Seneca
»Als ich erwachte, fand ich ihn an meinem Lager. ›Steh auf, sprach er, ›und erlabe dich an Speis und Trank, auf daß dir deine Stärke wiederkomme.‹ Solches sagend, wies er auf ein Tischchen, darauf die einfachsten Speisen auf ebenso einfache Weise angerichtet waren.
›Ich selbst‹, sprach er, ›esse nicht das Fleisch der Tiere, es wäre denn zu Neumond oder an den Hohen Festtagen. Jedennoch sind es der Tage und Jahre meines Lebens einhundertundsieben geworden, von denen ich sechzig in jenem Gelaß verbracht habe, darin du mich erstmals erblicktest. Selten genug steige ich herauf in die obere Kammer dieses Hauses, und auch dann nur aus Anlässen, wie dieser es ist,
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