Melmoth der Wanderer
befürchten müsse, an etwelche Ohren gedrungen sein könnten, rang er die Hände, und der Angstschweiß brach ihm aus der bleichen Stirn. Nachdem er sich aber gefaßt hatte, teilte er mir mit, man glaube nunmehr allgemein, es habe zu jenem entsetzlichen Anlaß sich mein Gespenst gezeigt – man habe mich in den Lüften schweben sehen, um den Tod jenes nichtswürdigen Schurken als ein Augenzeuge beizuwohnen –, und man habe meine Stimme vernommen, wie sie denselben zur Ewigen Verdammnis aufgerufen. Diese Geschichte, so wußte der Jude, werde nun mit aller Glaubwürdigkeit des Aberglaubens von Tausenden von Mäulern wiedergekäut, und wie verächtlich auch immer man auf derlei Absurdität hinabsehen möge, so werde dieselbe der rastlosen Wachsamkeit und dem nimmermüden Fleiß des Heiligen Offiziums doch unfehlbar zum Hinweis dienen und letztlich zu meiner Entdeckung und Ergreifung führen. Er sei deshalb gekommen, mir ein Geheimnis zu enthüllen, dessen Kenntnis mich in den Stand setzen solle, in vollkommener Sicherheit im Zentrum von Madrid auszuharren, bis man Wege gefunden hätte, meine Flucht ins Werk zu setzen, und Mittel, meinen Lebensunterhalt in einem der protestantischen Länder sicherzustellen, welche dem Arme der Inquisition entzogen seien.
Er war eben dabei, mir dies Geheimnis, darauf sich unsere Sicherheit gründete und das zu vernehmen ich mich in sprachloser Seelenangst vorbeugte, zu eröffnen, da polterte es unten gegen die Haustür, und es erscholl die Aufforderung, im Namen der Heiligen Inquisition das Haustor aufzuschließen. Der Jude, auf die Beine springend, hatte schon im nächsten Moment die Kerzen ausgeblasen, ein Dielenbrett abgehoben und bedeutete mir halb konvulsivisch, halb instinktiv, ich möge durch die entstandene Öffnung hinabsteigen. Dies getan, fand ich mich alsbald von dem schützenden Mantel nachtschwarzer Finsternis umgeben.
Ich war nur einige wenige Stufen hinabgestiegen, auf deren letzter ich nun unter Zittern und Beben verharrte, während über mir die Sendboten der Heiligen Inquisition den Raum betraten und über das nämliche Brett hinwegstolzierten, welches mich von ihnen trennte. So konnte ich jedes Wort der nun folgenden Unterredung mit anhören.
›Don Fernan‹, so wandte sich jetzt einer der Eindringlinge an den Jüden, welcher, nachdem er untertänigst aufgeschlossen, nun hinter seinen ungebetenen Gästen die Kammer betrat. ›Weshalb habt Ihr uns so lange warten lassen?‹
›Hochheiliger Vater‹, versetzte der Jude, ›Maria, was ist meine einzige Dienstmagd, Ihr müßt wissen, sie ist alt, Ihr müßt wissen, sie ist taub, und der Jüngling, mein Sohn, er ist schon gegangen zu Bett, und ich , – ich hab’ gebetet den Heiligen Rosenkranz.‹
›Wie es scheint, vermögt Ihr dies auch ohne Licht‹, sagte ein anderer, wobei er offenbar auf die ausgeblasenen Kerzen wies, da mein Jude dieselben unverzüglich wieder ansteckte.
›Das Auge Gottes, hochwürdigster Vater, sobald es erst auf mir ruht, ich bedarf nicht zu haben kein Licht!‹
›Gottes Auge ruht auf Euch‹, sprach der Abgesandte der Heiligen Inquisition, während er sich schwer auf einen Schemel fallen ließ. ›Und desgleichen auch ein anderes, welchem Er Seine nimmermüde Wachsamkeit und unwiderstehliche Schärfe verliehen – das Auge des Heiligen Offiziums. Don Fernan di Nunez,‹ – so der spanische Name des Jüden – ›Ihr wißt recht wohl um die Langmut, welche die Heilige Kirche gegen jene an den Tag legt, die dem Irrglauben jener verfluchten Rasse, der auch Ihr angehört, abgeschworen haben. Doch Ihr müßt Euch nicht minder bewußt sein der unablässigen Wachsamkeit, welche das Heilige Offizium denen zuwendet, deren Bekehrung unweigerlich Verdacht erwecken muß, weil ihr Zurückfallen in den alten Aberglauben immerdar zu befürchten steht. Wir wissen, daß Granadas schwärzliches Blut in den vergifteten Adern Eurer Ahnen geflossen ist, und daß noch keine vierhundert Jahre darüber vergangen sind, seit Eure Stammväter dies Heilige Zeichen mit Füßen getreten, vor welchem Ihr Euch nun im Staube krümmt. Ihr mögt zwar ein alter Mann sein, Don Fernan, ein alter Christ seid Ihr nimmermehr! Angesichts dessen ziemt es dem Heiligen Offizium, Eure gesamte Aufführung mit peinlichster Sorgfalt zu überwachen.‹
Der unselige Jude setzte dem Gehörten unter Anrufung aller Heiligen entgegen, wie sehr ihm doch diese peinliche Sorgfalt des Heiligen Offiziums zur Ehre gereiche und daß dieselbe
Weitere Kostenlose Bücher