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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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– nämlich dem, ihr eigenes Elend mit aller ihnen zu Gebote stehenden Erfindungsgabe zu verschlimmern. Jene aber, so in einem Elend leben, welchem keinerlei fremdes Wohlergehen gegenübersteht, kennen nicht die Qualen eines Tantalus und leben ohne alle Anfechtung dahin, das Leid wird ihnen zur lieben Gewohnheit, und sie empfinden in ihrem Elend keinen größeren Neid, als ihn die in blinder und hungernder Stumpfheit in ihrer felsigen Spalte hängende Fledermaus dem Schmetterlinge gegenüber empfindet, der da von dem Tautropfen der Blume trinkt und in deren Duft badet. Die Menschen jener anderen Welt aber haben durch ihre Gewohnheit, in Städten zu leben, ein neues und einzig dastehendes Mittel gefunden, ihre eigene Hinfälligkeit noch zu vergrößern, indem sie derselben beständig die ausschweifendsten und begehrlichsten Exzesse einer überschäumenden und extravaganten Prachtentfaltung gegenüberstellen.‹
    Immalee, überwältigt durch diese Worte, welche ihr unverständlich sein mußten, bat vergebens um die Erklärung von deren Zusammenhang. Der Dämon seines maßlosen Menschenhasses hatte nun von dem Sprecher mit Haut und Haar Besitz ergriffen, und nicht einmal eine Stimme, deren Klang so betörend gewesen wäre wie Davids Harfenspiel vor Saul, hätte es vermocht, jene des Bösen aus dem Feld zu schlagen. So fuhr er fort, die Feuerbrände seines Zorns um sich zu schleudern und die Pfeile seines Spottes zu versenden, und setzte, nachdem er gefragt hatte ›Nun? Ist dies nicht ein Hauptspaß?‹ seine Rede fort. ›Dieses Pack [16] ‹, rief er, ›hat unter sich Könige erwählt, das sind Kreaturen, welche es aus freien Stücken mit dem Vorrecht ausgestattet, das Land auszusaugen und durch Steuereintreibung alles an sich zu reißen, was immer das Laster den Reichen an Reichtum und der Daseinskampf den Armen an Armut gelassen, bis diese Erpressung gleichermaßen verflucht wird in den Palästen der Reichen wie in den Hütten der Armen, verflucht wird als eine Ausplünderung, die es nur darauf abgesehen hat, einer Handvoll verwöhnter Günstlinge den unersättlichen Wanst zu stopfen, einem Klüngel, der mit seidenem Zaumzeug an jene prunkvolle Staatskarosse geschirrt ist und sie in aller Rücksichtslosigkeit voranzerrt, bis ihre Räder über die ehrfürchtig im Staub liegende Menge hinweggehen. Bisweilen erschöpft von der Langeweile, welche die unablässige Schwelgerei mit sich bringt, einer Langeweile, deren Ekel nicht einmal der Eintönigkeit beständigen Leidens vergleichbar ist (dieweil letzterer doch noch die Freude der Hoffnung eignet, die ersterer auf immer versagt bleibt), vergnügen sie sich damit, Kriege vom Zaun zu brechen, will sagen, die größtmögliche Anzahl menschlicher Geschöpfe, welche mit Geld geködert werden können, um einer unterlegenen, gleichen oder größeren Anzahl ebensolcher menschlichen Geschöpfe, die zu demselben Zweck mit Geld geködert worden, die Gurgel abzuschneiden. Dabei haben diese Kreaturen nicht den geringsten Anlaß, einander feind zu sein – sie kennen einander nicht, keiner hat den andern je gesehen! Ja, unter günstigeren Umständen mögen sie einander sogar alles mögliche Gute wünschen, soweit es die dem Menschen eingeborene Bosheit ihnen gestattet. Doch mit dem Tag, da sie die Obrigkeit zum Massenmord gedungen, ist der Haß zur Menschenpflicht, der Mord zur Lust geworden.‹
    ›Was aber tun jene Könige‹, fragte Immalee, ›sobald sie die Menschen dazu angestiftet haben, einander für nichts und wieder nichts umzubringen?‹
    ›Deine Unwissenheit ist größer als ich dachte, Immalee‹, erwiderte der Fremde. ›Wie könntest du sonst sagen, dies alles sei für nichts ? Manche von ihnen kämpfen ja um ganze zehn Zoll unfruchtbarsten Sandes – andere wieder um die Beherrschung einer veritablen Pfütze salzigen Wassers –, doch wär’ es auch um alles oder nichts, um den gefüllten oder leeren Beutel, sie kämpfen einfach um des Kämpfens willen, erfüllt vom Tatendurst und von der Lust am Abenteuer in der fremden Ferne, erfüllt von Angst vor der vertrauten Enge der eignen Heimat, und getrieben von dem Wissen um die eigne Verderbtheit wie von der Hoffnung auf den eignen Tod. So sehr hat sie des Königs Rock verblendet mit jener Buntheit, die den Tod maskiert, daß diese Tröpfe ganz im Ernst vermeinen, sie könnten durch Gewalttat, Raub und Mord erwerben, was die pervertierte Sprache als Ruhm bezeichnet, Dank des Vaterlands, und als der Nachwelt ewiges

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