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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Gedenken.‹
    ›Allein, sie haben doch ihre Religion‹, sagte die arme, bei dieser Schilderung nicht minder erzitternde Inderin. ›Sie haben doch jenen Glauben, welchen du mir gewiesen hast! Seinen sanften und friedfertigen Geist, – seine Stille und seine verzichtende Kraft, die nicht Blut noch Grausamkeit kennt!‹
    ›Nun gut, – dies ist wohl wahr‹, räumte der Fremde ein. ›Sie haben ihre Religion, weil ihnen ja in ihrer Begier nach dem Leid die Martern dieser Welt nimmermehr genügten, würden sie nicht durch jene einer anderen gesteigert. Sie haben also ihre Religion – doch welchen Nutzen ziehen sie daraus? So eifervoll und unbeirrbar darauf bedacht, jedes immer nur mögliche Elend aufzuspüren, ja eines zu erfinden, wo es keins gibt, haben sie sogar in den Seiten jenes Buches, von welchem sie sagen, es erhärte ihren Anspruch auf den Frieden in dieser und die Seligkeit in der anderen Welt, ein Recht darauf entdeckt, einander zu hassen, auszuplündern und niederzumetzeln. Allesamt stimmen sie darin überein, jenes ›Liebet einander‹ ihres gemeinsamen Buches in ein ›Hasset einander‹ zu übersetzen. Weil sie aber dafür weder Unterlagen noch Entschuldigungen in demselben vorfinden, so suchen sie nach Rechtfertigung in ihrem eigenen Innern und tun dies nie vergebens, da ja der Menschengeist ein unerschöpflicher Born aller Bosheit und Feindschaft ist. Und da sie diese Haupteigenschaften im Namen ihres Buches rechtfertigen wollen, wird ihnen die Vergötzung ihrer Leidenschaften zur Pflicht, sie heiligen noch ihre verwerflichsten Triebe und praktizieren diese, indem sie sie für Tugenden ausgeben.‹
    ›Gibt es denn keine Eltern, keine Kinder in jenen fürchterlichen Welten?‹ fragte Immalee, indem sie ihren tränenvollen Blick auf diesen Verleumder aller Menschlichkeit heftete. ›Gar keine Wesen, die einander lieben, wie ich den Baum geliebt habe, unter welchem ich erstmals zum Bewußtsein meiner selbst gekommen, oder die Blumen, die da mit mir aufgewachsen?‹
    ›Eltern? Kinder?‹ fragte der Fremde zurück. ›O ja, gewißlich doch! Da gibt es Väter, die ihre Söhne lehren ...‹ Hier erstarb ihm die Stimme, und er hatte Mühe, ihrer wieder mächtig zu werden.
    Nach längerem Schweigen hub er erneut an: ›Nun wohl, es gibt da etwelche zärtliche Eltern unter jenem so unnatürlich-welterfahrenen Pack.‹
    ›Wer aber ist dies?‹ fragte Immalee, deren Herzklopfen sich bei der Erwähnung von Zärtlichkeit alsbald beschleunigt hatte.
    ›Es sind jene‹, antwortete der Fremde, wobei ein verzerrendes Lächeln seine Züge entstellte ›welche ihre Kinder noch in der Stunde von deren Geburt ins Reich des Todes befördern, oder, mit Hilfe eines Arztes, sich derselben entledigen, noch ehe sie das Licht der Welt erblickt haben. Und indem jene Eltern so verfahren, erbringen sie den einzig glaubhaften Beweis von Elternliebe.‹
    Er schwieg, und auch Immalee blieb schweigend in melancholischen Betrachtungen des eben Gehörten versunken.
    ›Hat meine Rede dich ermüdet?‹ so frug der Fremde.
    ›Sie hat mich traurig gemacht, und dennoch, ich möchte ihr immerfort zuhören‹, versetzte die Inderin. ›Sie ist wie das Murmeln des Flusses, dem ich so gerne lausche, obschon doch die Krokodile in seinen Wassern lauern.‹
    ›So wär’ es möglich, daß du den Menschen jener Welt begegnen möchtest, die so voll Freveltat und Unglück ist?‹
    ›Das will ich, denn es ist doch die Welt, aus welcher du gekommen bist. Und kehrst du erst dahin zurück, so werden alle glücklich sein – alle, bis auf mich.‹
    ›Wie – und so stünde es in meiner Macht, die Menschen zu beglücken?‹ so frug ihr Kompagnon. ›Ist’s nur um dies, daß ich auf Erden wandle?‹ Und ein unbestimmbarer Ausdruck, darin Spott, Bosheit und Verzweiflung miteinander wetteiferten, glitt über seine Züge, während er hinzufügte: ›Zu viel der Ehre, die du mir erweist, indem du dies Geschäft für mich ersonnen, das meiner Freundlichkeit so sehr entspricht.‹
    Immalee, welche den Bück abgewandt hatte, wurde des Mienenspiels nicht gewahr und erwiderte: ›Ich weiß es nicht, doch du hast mich die Lust des Leids gelehrt. Bevor du da warst, wüßt’ ich nur zu lächeln. Jetzt, da du hier bist, kenne ich das Weinen, und diese Tränen, sie beglücken mich. Ach, wie verschieden sind sie doch von jenen, die ich vergoß, sobald die Sonne sank, die Rose welkte! Und dennoch, ich weiß es nicht ...‹
    Erst nach langem Schweigen

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