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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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des Fremden ins Gespräch, indem er darauf hinwies, derselbe sei innerhalb so kurzer Frist an so verschiedenen Orten des Erdballs gesichtet worden, daß bloße Menschenkräfte dies nimmermehr bewirkt haben könnten. Auch sei der Reisende stets auf die Bekanntschaft mit den lüderlichsten Mitgliedern jener Gesellschaft bedacht gewesen, auf die er jeweils sein Auge geworfen, doch wisse man nicht, welches denn der Grund für diesen Umgang wäre.
    ›Der Grund ist beiden nur zu gut bekannt‹, sagte in diesem Moment eine tiefe Stimme, deren Klang die Ohren der überraschten Gesellschaft wie der Hall einer mächtigen, doch gedämpften Glocke traf. ›Der Grund ist beiden nur zu gut bekannt – dem fremden Gast so gut wie denen, die er heimsucht.‹
    Obschon unterdessen die Dämmerung hereingebrochen war, konnten doch alle die Gestalt des eben wieder vorbeikommenden Fremdlings gewahren, ja einige der Versammelten behaupteten in allem Ernst, das unheilverkündende Glosen in jenen Augen gesehen zu haben, das noch niemals anders denn als verderbliches Doppelgestirn über einem Menschenschicksal aufgegangen sei. Eine Zeitlang verharrte die Gruppe in Schweigen, um der sich entfernenden Gestalt nachzublicken, die auf die Abwartenden den lähmenden Effekt des Zitterrochens geübt hatte. Langsam und von niemandem behelligt kam ihnen der Fremde aus den Augen.
    ›Ich habe davon reden hören‹, vermeldete jetzt einer aus der Gesellschaft ›daß eine betörende Musik dem Auftritt dieses rätselhaften Mannes immer dann vorangehen soll, wenn dessen vorbestimmtes Opfer – jenes Wesen also, das in Versuchung zu führen oder zu quälen ihm verstattet ist –, sich in der Nähe aufhält oder ihm begegnet. Es war eine recht sonderbare Geschichte, die ich da im Zusammenhang mit dieser Musik vernommen habe, und – Heilige Maria, Mutter Gottes, steh uns bei! Habt ihr jemals zuvor so erlesene Klänge gehört?‹
    ›Was denn – wo kommt das her? –‹ Und in lauschendem Staunen zogen die Umstehenden ihre Hüte, öffneten ihre Umhänge, ja ›taten die Lippen auf, schlürften die Luft‹ in der köstlichsten Verzückung ob der sie umflutenden Klänge.
    ›Was Wunder‹, meinte ein Milchbart von Courschneider aus der geselligen Runde ›was Wunder, wenn solcherlei Sphärenmusik das Herannahen eines so himmlischen Geschöpfes verkündet! Mit allen guten Geistern scheint sie ja im Bunde, und allein die Heiligen im Himmel können es sein, welche solche Akkorde herniedertönen lassen, um so viel Anmut willkommen zu heißen!‹
    Noch während er dies sagte, wandten alle Augen sich einer Gestalt zu, welche, obschon sie inmitten einer Schar der glänzendsten und anziehendsten Frauenzimmer einherwandelte, doch als die einzige unter denselben erschien, auf der das Auge mit dem reinen, ungetrübten Licht der Liebe verweilen konnte, und was bisher ein verhaltenes Geflüster der Furcht gewesen, war nun mit einem Mal ein unterdrücktes Durcheinander von Ausrufen des Entzückens und der Verwunderung, welches das Vorüberschreiten der schönen Erscheinung begleitete. Dies kaum geschehen, tauchte der Fremde aufs neue im Blickfeld unserer Flaneure auf, ganz wie beim vorigen Mal scheinbar niemand kennend, und doch von jedem gekannt. Da aber die Gesellschaft jener Frauenzimmer am Ende des Platzes wieder umgekehrt war, begegnete sie ihm, dessen eindringlicher Blick aus der Gruppe der Lustwandelnden jedoch nur eine erwählte, sich nur auf diese eine konzentrierte. Ihr Blick begegnete dem seinen, sie erkannte ihn, schrie gellend auf und stürzte besinnungslos zu Boden.
    Der allgemeine Aufruhr, verursacht durch dies Ereignis, zog für einige Augenblicke die Aufmerksamkeit von dem Fremden ab, weil jedermann entweder damit befaßt war, der hingesunkenen Schönen Beistand zu leisten, oder aber auf deren Ohnmacht bezügliche Fragen zu stellen. Die Bewußtlose wurde von mehr hilfreichen Händen als ihr dafür nötig oder erwünscht waren, zu ihrer Kutsche getragen und in diese gehoben. Dieselbe fuhr denn auch alsbald hinweg, allein, der Fremde verfolgte ihren Weg mit seinen Augen. Die Gesellschaft zerstreute sich, er blieb allein zurück, – das Zwielicht wich nach und nach dem Dunkel der Nacht, – er aber schien solchen Wandel nicht zu bemerken, – nur noch wenige Spaziergänger verweilten an dem äußersten Ende der Promenade, um den Versonnenen im Auge zu behalten, – doch er würdigte sie keines Blickes.
    Einer, der sich am längsten verweilt hatte, erzählte

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