Melmoth der Wanderer
Gemeinsamkeit geben, Isidora, oder, mit den Worten deines Pater José (falls er des Griechischen hinlänglich mächtig wäre), t i e m o i k a i s o i [Was ist uns gemein].‹
›Ich habe dich geliebt‹, erwiderte darauf diese spanische Jungfrau, und sie sagte es mit eben der keuschen und sanften Festigkeit, in welcher sie schon gesprochen, da sie noch die einsame Göttin ihres zaubrischen, blumenüberwucherten Eilandes gewesen ›ich habe dich geliebt, noch ehe ich zur Christin gemacht wurde. Man hat zwar meinen Glauben verändert, doch niemand wird jemals mein Herz verändern können. Du beleidigst mich nur, wenn du an der Lauterkeit eines Gefühls zweifelst, das du vielleicht nur darum zerpflücken willst, weil du es weder zu erleben noch zu begreifen vermagst. So sag denn an, was ist Liebe ? An der Aufrichtigkeit meiner Antwort soll all deine Beredsamkeit, all deine Spitzfindigkeit zuschanden werden! Willst du also wissen, was Liebe ist, so kommt dir die echte Antwort nimmer von den Lippen des Mannes, sondern stets aus dem Herzen des Weibes.‹
›Was Liebe ist‹, frug Melmoth ›ist das unsre Frage?‹
›Du hast daran gezweifelt, daß ich liebe‹, versetzte Isidora. ›Nun ist’s an dir zu sagen, was Liebe für dich ist.‹
›Du stellst mir da eine Aufgabe‹, erwiderte Melmoth mit freudlosem Lächeln ›welche meinem Fühlen und Denken so angemessen ist, daß ich ohne Zweifel mit einer einzigartigen Lösung werde aufzuwarten haben. Zu lieben, schönste Isidora, es bedeutet ja, in einer Welt zu leben, die das Herz sich selbst erschaffen hat. Für jene, die da lieben, gibt es weder Tag noch Nacht, nicht Sommer noch Winter, nicht Gesellschaft noch Verlassenheit. Sie kennen bloß zwei Zeitabschnitte in ihrem köstlichen, wenngleich eingebildeten Dasein, welche in dem Kalendarium ihres Herzens mit den Worten Zweisamkeit – Einsamkeit verzeichnet sind. In ihrer Welt der Liebe gibt es bloß ein einziges Wesen, und dieses Wesen ist ihnen ihre Welt und zugleich deren einziger Bewohner. Seine Gegenwart macht ihnen die Luft erst atembar, und das Licht seiner Augen ist ihrer Schöpfung die einzige Sonne, in deren Strahlen sie sich baden, in deren Schein sie lustwandeln.‹
›So lieb’ ich denn‹, sprach Isidora bei sich.
›Zu lieben‹, brach’s aus Melmoth jetzt hervor ›zu lieben heißt, daß deine Existenz so sehr in einem zweiten Menschen aufgeht, daß du nichts andres mehr empfinden kannst als das Bewußtsein seiner Gegenwart, daß dich nichts andres freut als seine Freude, und einzig seine Qual dich leiden macht. Zu lieben, es bedeutet, das eigne, armselige Leben nicht mehr zu beachten, wär’s nun im Geiste, wär’ es nur im Fleisch, und Eltern, Vaterland, Natur, Gesellschaft, ja selbst die Heilige Religion für nichts zu achten denn für Weihrauchkörner, die vom Altar des Herzens wir verbrennen als Duftgewölke und als Opferrauch.‹
›Wohlan, so lieb’ ich wirklich ‹, sagte Isidora und brach zitternd in Tränen aus über ihr schreckliches Geständnis ›denn ich habe all der Bindungen vergessen, welche man mir als jene des Blutes vor Augen geführt hat, – ich habe des Landes vergessen, das sie mir als meine Heimat hingestellt haben, und ich will, wenn es nötig ist, einfach alles verleugnen: die Eltern, das Geburtsland, die Gewohnheiten, die ich mir angeeignet habe, die Gedanken, die man mich gelehrt hat, ja sogar die Religion, welche ich ... Nein, und abermals Nein! Mein HErr und Heiland!‹ Mit diesem Aufschrei stürzte sie vom Fenster ins Innere ihres Gemaches und klammerte sich dort an das Kruzifix. ›Nein! Dich will ich nimmermehr verleugnen – dich nie und nimmer! Du wirst mich nicht verlassen in der Stunde meines Sterbens! Wirst deinen Blick nicht von mir wenden, da der Versucher sich mir naht, – wirst mich nicht verlassen hier und jetzt, in diesem Augenblick!‹
Im Schein der Wachslichte, die in Isidoras Schlafgemach brannten, konnte Melmoth sie vor dem heiligen Bildwerk auf die Knie sinken sehen. Und ebenso wurde er der Inbrunst eines Herzens gewahr, das nahezu sichtbar unter dem weißen, wogenden Busen pochte, – desgleichen der gefalteten Hände, welche um Hilfe gegen solche Auflehnung des Herzens zu bitten schienen, eines Herzens, dessen Schläge dies Wesen vergebens zu unterdrücken sich mühte. So streckte sie die im Gebet verkrampften Hände gen Himmel, um von dort Vergebung für dies ungebärdige Herz zu erflehen. Und da er der tiefen und leidenschaftlichen
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