Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
Vom Netzwerk:
Frömmigkeit ansichtig wurde, mit welcher Isidora das Kruzifix umfaßt hielt, erschauderte er über den Anblick. Niemals pflegte er ja dies Symbol eines Blickes zu würdigen, ohne nicht sogleich seine Augen davon abzuwenden. Jetzt aber verweilte sein Auge lange und mit gespannter Aufmerksamkeit auf der vor dem Bildnis des Gekreuzigten Knienden.
    Jedoch hatte Isidora sich schon nach wenigen Sekunden aus ihrem Hingesunkensein erhoben und war wieder Herrin ihrer selbst, gefaßt und würdevoll wie nur je. Auch schien ihr jetzt eine Entschlossenheit innezuwohnen, welche jener Eine, der in jedes Herz blicken kann, auch dem anfälligsten, das er je geschaffen, nimmermehr verweigert, sobald es sich ihm nur rückhaltlos erschließt.
    ›Nun denn‹, frug Melmoth angelegentlich, ›wie steht’s um den Beweis, den du für jene Liebe mir erbringen willst, so da als einzige des Namens wert ist?‹
    ›Ich will dir jeden Beweis dafür erbringen‹, erwiderte Isidora voll Festigkeit ›dessen die ergebenste aller Erdentöchter nur fähig sein kann: mit meinem ganzen Herzen, meinem ganzen Vermögen und meiner ganzen Kraft will ich dir gehören, auch inmitten alles Rätselvollen und aller Bekümmernis, – folgen will ich dir (wenn es denn sein muß) in Verbannung und Einsamkeit durch die ganze Welt! Verlange jeden Beweis, den eine Frau dir bieten kann. Mehr steht nicht in des Menschen Kraft – weniger aber würde solchen Beweis all seines Wertes berauben.‹
    So tiefen Eindruck übten solche Worte auf Melmoth, dessen Herz, so sehr es auch in unsagbare Schlechtigkeit verstrickt war, noch nie durch Sinnenlüste sich befleckt, daß er zurückfuhr und die Sprecherin entgeistert ansah, um danach zu rufen: ›Wohlan – so hast du mir denn in der Tat Beweise deiner Liebe jetzt geliefert, die unumstößlich sind! So ist es an mir, dir nunmehr jene Liebe zu beweisen, von der ich dir gesprochen – jene Liebe, die du allein in mir erwecken konntest, und die ich unter günstigerem Stern – allein, was tut’s – es ist nicht meine Aufgabe, dies zu zerpflücken, sondern, dir’s zu weisen.‹ Er streckte seine Arme nach dem Fenster, an dem sie stand. ›So wärst du denn bereit, dein Schicksal mit dem meinen zu vereinen? In Trübsal und Geheimnis mein zu werden? Und würdest folgen mir vom Land zum Meer, vom Ozean zu ferneren Gestaden, so ruhlos, heimatlos, nur mir ergeben, die Stirn gebrandmarkt und verflucht den Namen? Und willst die meine sein trotz alledem? – Die Immalee, die nur noch mir gehört?‹
    ›Ich wollte es – ich will.‹
    ›Empfange denn‹, gab Melmoth da zurück ›in diesem Augenblicke den Beweis der ewigen Dankbarkeit, die ich dir schulde! Hier steh’ ich und entsage deinem Anblick – erklär’ für null und nichtig dies Verlöbnis – und hebe mich auf ewig nun von dir!‹ Er sprach’s und war, dieweil er’s sprach, verschwunden.«

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Nie nehm’ ich Paris, – Romeo ist mein Gatte.
    Shakespeare

     
    »Die ungestümen Ausrufe und (für sie) unverständlichen Anspielungen ihres geheimnisvollen Liebhabers waren Isidora schon so alltäglich geworden, daß sie keinerlei besondere Bestürzung über seine sonderbare Rede und seinen übereilten Aufbruch empfand. So war sie über Melmoth’s Verschwinden weniger überrascht als über des nur Stunden danach ergehenden Rufes ihrer Mutter, welcher ihr in den folgenden Worten übermittelt wurde: »Madonna Isidora, Eure Frau Mutter wünscht Eure Gegenwart in dem Gobelinzimmer, dieweil sie durch eine eilige Nachricht von gewisser Hand zur Kenntnis von Umständen gelangt ist, mit denen Euch bekanntzumachen sie für passend erachtet.‹
    Isidora fand Donna Clara an deren Schreibpult vor, wo sie über einem vor ihr liegenden, in gestochener Handschrift abgefaßten Brief saß und Isidora mit den folgenden Worten begrüßte: ›Meine Tochter, ich habe dich rufen lassen, damit du mit mir das Vergnügen teilen kannst, welches diese Zeilen uns zu bieten haben.‹
    Isidora knickste tief und ließ sich danach auf einem der Kissen nieder, welche sich in dem Gemach zu wahren Gebirgen türmten, während eine bebrillte Duenna, die auf einem weiteren Kissen zur rechten Hand der Donna Clara thronte, unter allerlei Kunstpausen und sonstigen Beschwernissen den nachfolgenden Brief zu Gehör brachte, den Donna Clara soeben von ihrem Ehegemahl erhalten hatte, der in Spanien an Land gegangen war und sich nun auf dem Wege zu seiner Familie befand.

DONNA CLARA,
    Nun

Weitere Kostenlose Bücher