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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Überlieferung ja bis auf den heutigen Tag nicht verstummt ist.
    Nachdem Isidora wieder zu sich gekommen war, ließ sie Donna Clara ihr Bedauern über die plötzliche Unpäßlichkeit übermitteln und bat im übrigen all die geschäftigen Helfer inständig, man möge sie doch alleinlassen, weil sie ungestört zu sein wünsche. Alleinsein – mit dem Wort verbinden all jene, die da lieben, bloß einen einzigen Gedanken, nämlich den, in der Gesellschaft des einen zu sein, der ihnen alles bedeutet. So wünschte auch Isidora in diesem (für sie) so furchtbaren Dringlichkeitsfall, sich mit demjenigen zu beratschlagen, dessen Bild ihr allzeit gegenwärtig war, und dessen Stimme sie mit ihrem geistigen Ohr, auch wenn er nicht bei ihr weilte, deutlich genug vernahm.
    So kam denn die Nacht heran, – jene Nacht, welche, indem sie all die Künstlichkeit der Gegenstände und des Gehabens vor Isidoras Blick verhüllte, in ihr bis zu einem gewissen Grad das Bewußtsein ihres früheren Lebens wiedererweckte und ihr dergestalt ein Gefühl der Unabhängigkeit verlieh, wie sie es tagsüber nimmer zu empfinden vermochte. Daß Melmoth nicht mehr in Erscheinung trat, erhöhte freilich ihre Besorgnis, und sie wurde sich nach und nach darüber klar, daß er auf immer von ihr Abschied genommen hatte. Bei diesem Gedanken sank ihr das Herz noch tiefer.
    ›Oh!‹ schrie sie hinaus und verkrampfte dabei ihre Hände in äußerster Seelenpein. ›Oh, wäre er doch hier, um mir den Weg zu weisen, um mir mit Rat und Hilfe beizustehen! – Nicht als mein Geliebter, nein, bloß als mein Ratgeber!‹
    Es geht die Rede, daß eine gewisse Macht beständig auf der Lauer liegt, um unverweilt all jene Wünsche zu erfüllen, die ein Wesen zu seinem eigenen Schaden ausgesprochen hat. Dies sollte sich denn auch in dem nämlichen Moment erweisen, dieweil, kaum daß Isidora ihren Ausruf getan, auch schon ein Schatten den Gartenpfad verdunkelte, und Melmoth gleich darauf unter dem Fenster stand. Da sie des Ankömmlings ansichtig wurde, stieß Isidora einen Schrei aus, darin Furcht und Entzücken sich vermengten, und den der nächtliche Besucher mit einer gebieterischen Handbewegung zum Verstummen brachte, um danach zum Fenster herauf zuraunen: ›Ich weiß alles!‹
    Isidora verhielt sich still. Sie hatte ja nichts mitzuteilen als ihre neueste Verzweiflung, über welche, so schien es, Melmoth durchaus im Bilde war. Deshalb harrte sie in stummer Angst den Worten des Rates oder Trostes aus seinem Mund entgegen. ›Mir ist all das bekannt‹, sprach Melmoth jetzt. ›Dein Vater ist in Spanien gelandet und führt dir deinen Ehegatten zu. Du aber wirst dem festgesetzten Ziel, das deine Sippschaft sich in allem Starrsinn der Schwäche vorgenommen, nicht entrinnen. Von heute an genau in vierzehn Tagen stehst als Montillas Braut du vorm Altar.‹
    ›So will ich erst die Braut des Todes sein‹, versetzte Isidora in grausiger Ruhe.
    Bei diesen Worten trat Melmoth näher heran und musterte die Sprecherin aufmerksam. Alles, was nur irgendwie an einen verzweifelten und furchtbaren Entschluß erinnerte, – was sich den letzten Grenzen des menschlichen Fühlens und Handelns näherte, brachte ja die machtvollen, jedoch in falscher Ordnung gespannten Saiten seiner Seele zum tönenden Mitschwingen. So forderte er Isidora auf, sie möge ihre Worte wiederholen, und sie tat dies mit bebenden Lippen, jedoch mit fester Stimme.
    ›So könntest‹, frug er, ›so könntest in den Tod du gehn für einen, dem nimmer du im Leben dich verbändest?‹
    ›Ich sagte bloß, ich wollte lieber sterben, als dem Montilla angetraut zu sein‹, versetzte Isidora jetzt. ›Vom Tode weiß ich so gut wie nichts, und auch vom Leben ist mir nicht viel bekannt, allein, ich wollte viel lieber untergehn, als jenen Meineid auf mich zu laden, einem fremden Manne, den ich nicht lieben kann, mich zu vermählen!‹
    ›Und warum kannst du’s nicht?‹ frug Melmoth, der mit diesem Herzen spielte wie ein Knabe, der da den Vogel, den er eingefangen, an eine Schnur gebunden, flattern läßt.
    ›Weil ich nur einen einzigen lieben kann. Du warst das erste menschliche Geschöpf, das jemals ich gesehn. Du bist’s gewesen, der mich zu sprechen lehrte und zu fühlen. Dein Bild ist es, das mir stets vor Augen schwebt, ob du mir fern, ob du mir nahe bist, ob wach ich bin, ob ich im Schlummer liege. Ich liebte dich, weil du der erste warst, der mich mit jener Menschenwelt verbunden, und der dies wundersame

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