Melmoth der Wanderer
Herabreißen des Ahnenbilds von jenen Wänden, darin dessen Gegenstand geboren worden war. So hielt er inne, um zu lauschen: doch »da war nicht Stimme noch Antwort in dem Raum«. Nur als die zerknitterte, zerfetzte Leinwand zu Boden fiel, erweckte ihr Faltenspiel einen Atemzug lang den Eindruck, als verzerrten sich die gemalten Züge zu einem Grinsen. Melmoth aber wurde bei dieser flüchtigen Belebung des Antlitzes von einem unbeschreiblichen Entsetzen befallen. Er raffte die Leinwand vom Boden auf, hastete mit ihr ins angrenzende Zimmer, zerriß, zerschnitt und zerhackte das Bild nach allen Richtungen und sah danach gespannt zu, wie jeder einzelne Fetzen gleich Zunder in dem Torffeuer, das man in seinem Wohngemach angefacht hatte, in Flammen aufging.
Mit dem Aufzüngeln des letzten Flämmchens warf Melmoth sich aufs Lager, hoffend, daß er nunmehr tief und traumlos schlafen werde. Er hatte vollbracht, was ihm aufgetragen worden war, und fühlte sich gleichermaßen an Geist und Körper erschöpft. Doch sein Schlummer war bei weitem nicht so tief, wie er gehofft hatte. Der glosende Schimmer des Torffeuers, aus welchem keinerlei Flamme emporleckte, irritierte ihn beständig. So wälzte Melmoth sich ohne Unterlaß auf seinem Bett, jedoch das Feuer gloste weiter vor sich hin und zeigte, ohne je sie zu erhellen, die dunklen Möbel dieses Schlafgemachs. Der Wind ging scharf ums Haus in dieser Nacht, und immer, wenn die Tür in ihren Angeln ächzte, war’s akkurat, als suchte jemand Einlaß, als schob’ ins Schloß von draußen sich ein Schlüssel, als scharrte vor der Tür ein fremder Fuß. Und dann, war’s Traum, war’s Wirklichkeit (das wußte Melmoth später nie zu sagen), dann sah er die Gestalt des altern Melmoth in der Tür. Der zögerte zunächst wie in der Nacht, da Melmoths Oheim weggestorben war – verhielt den Schritt – trat langsam ein – kam näher – bis ans Bett – um dann zu raunen: »Nun hast du mich verbrannt – so sei es drum. Doch merke dir, die Flammen überleb’ ich. – Ich lebe – lebe stets an deiner Seite.«
Zutiefst entsetzt fuhr Melmoth aus dem Bett: da war schon heller Tag. Er blickte um sich, niemand war im Zimmer, niemand außer ihm. Ein leichter Schmerz im rechten Handgelenk, doch dies war alles. Er sah es an – und es war bläulichschwarz, wie von dem Zugriff einer starken Hand.
VIERTES KAPITEL
Herbei die Äxte! Leichtert unsre Last!
Kappt alles Tauwerk und den Besan-Mast!
Falconer
Den nächstfolgenden Abend zog Melmoth sich beizeiten zurück. Die Tatsache, daß er die voraufgegangene Nacht so wenig Schlaf gefunden hatte, sowie die Düsternis des Tages bewirkten, daß er nichts sehnlicher als dessen Ende herbeiwünschte. Der späte Herbst war nun endgültig hereingebrochen. Schwere Wolken hatten sich den ganzen Tag über in langsamer Trauer und beinahe widerstrebend über den Himmel geschoben, ganz so wie die endlosen Stunden solcher tagelanger Melancholie das menschliche Gemüt überschatten. Nicht ein einziger Tropfen Regen fiel. Nein, weiter zogen die Wolken mit ihrer schweren Fracht, den Kundschafterschiffen einer Armada vergleichbar, welche, nachdem sie erst den befestigten Hafen ausgemacht, zunächst einmal abdrehen – doch nur, um mit um so stärkerer Macht und Gewalt erneut zu erscheinen. Solche Drohung wurde auch nur zu bald erfüllt: der Abend zog früher als erwartet herauf, denn sein Dunkel war verstärkt durch die Finsternis einer mächtigen Wolkenflotte, deren Schiffsbäuche randvoll befrachtet waren mit allem Verderben der Sintflut. Schon begannen ab und an die heulenden, plötzlichen Sturmböen das Haus zu erschüttern, doch nur, um sich gleich danach wieder zu legen. Aber mit Anbruch der Nacht war da kein Halten mehr. Jetzt brach der Orkan mit ungeminderter Gewalt über alles herein. Unter seinen Stößen wurde Melmoths Bett dermaßen erschüttert, daß dieser kein Auge zutun konnte. Er, der im allgemeinen zwar »das Erzittern der Brustwehren liebte«, keineswegs jedoch das drohende Einstürzen der Kamine, zu schweigen von der Erwartung das Dach über sich zusammenbrechen zu hören, mußte nun erleben, daß die Splitter zerscherbten Fensterglases ihm schon durch das Schlafgemach klirrten. So erhob er sich denn und begab sich hinunter in die Küche, wo, wie er wußte, ein Feuer angefacht war, um welches das verängstigte Gesinde sich geschart hatte und einander bei jedem heulenden Schwalle, der den Rauchfang herabgefahren kam, aufs neue
Weitere Kostenlose Bücher