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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Menschen da nicht an Eurer Statt sprechen! Gebt mir ein Schwert –, laßt mich in Spaniens Armee eintreten, damit ich dort meinen Tod finde! – Ich erbitte ja nur noch den Tod, ich ziehe ihn jenem Leben vor, zu welchem Ihr mich verdammt!‹
    ›Das ist unmöglich‹, sagte mein Vater und wandte sich düster von dem Fenster ab, gegen das er sich gelehnt hatte. ›Die Ehre einer so berühmten Familie –, die Würde eines spanischen Granden –‹
    ›Ach, mein Vater, wie wenig wird dies alles bedeuten, sobald ich in meinem frühen Grabe verwesen werde, und Ihr an gebrochenem Herzen zugrunde geht über jener Blüte, welche Euer eigenes Wort dazu verdammt, so früh zu verwelken!‹ Mein Vater erschauderte.
    ›Senor, ich bitte Euch mit allem Nachdruck –, ja ich befehle es Euch, zieht Euch zurück! Diese Szene beraubt Euch sonst der Kräfte für die heutige Abendandacht.‹
    ›So verlaßt ihr mich wirklich?‹ jammerte ich, als alle hinausgingen.
    ›Jawohl, jawohl‹, bekräftigte der Beichtvater. ›Wir lassen dich allein mit der Last des väterlichen Fluches.‹
    ›Nimmermehr!‹ rief da der Gemeinte aus. Doch der Beichtiger ergriff mit starkem Druck meines Vaters Hand.
    ›Und auch des Fluches deiner Mutter‹, wiederholte er. Ich hörte meine Mutter laut aufweinen und spürte in diesem Weinen das Verneinen des Fluches. Jedoch wagte sie nicht zu sprechen, und auch ich brachte kein Wort über die Lippen. Der Beichtvater hatte nun zwei Opfer in seinem Griff und das dritte zu seinen Füßen. Er brachte es nicht über sich, seinen Triumph zu verbergen. Er schwieg eine Weile, nahm dann alle Kraft seiner hallenden Stimme zusammen und donnerte zum Abschluß: ›Und auch unterm Fluche des Herrn!‹
    Während er aus dem Zimmer eilte, begleitet von meinen Eltern, deren Hände er eisern gepackt hielt, war es mir, als hätte der Blitz in mich geschlagen. Und das Rascheln der Gewänder, unter welchem der Beichtiger meine Eltern mit sich zog, tönte mir in den Ohren wie jener Wirbelsturm, welcher den Engel der Finsternis begleitet. In der Seelenqual meiner bittersten Not schrie ich auf: ›Oh, wäre doch mein Bruder hier, ein gutes Wort für mich einzulegen!‹ – und brach, noch während ich dies ausrief, zusammen. Mein Kopf schlug gegen einen Marmortisch, und ich sank blutüberströmt zu Boden.
    Die Domestiken fanden mich in dieser Lage. Sie stießen laute Schreckensrufe aus, man holte Hilfe herbei, man glaubte allgemein, ich selbst hätte meinem Leben ein Ende setzen wollen. Doch war der Wundarzt, welcher mich behandelte, klug und menschlich genug und erklärte, nachdem er mir das lange, blutverkrustete Haar weggeschnitten und die Wunde untersucht hatte, dieselbe als ungefährlich. Meine Mutter schien diese Meinung zu teilen, denn schon am dritten Tag wurde ich in ihre Gemächer gerufen.
    Sie war allein, als ich eintrat, und saß mit dem Rücken zu mir. Ich kniete bei ihr nieder und küßte ihr die Hand. Meine Blässe und Unterwürfigkeit schien sie zu rühren, doch kämpfte sie gegen ihre Gefühle an, bemeisterte sie und sagte schließlich in kaltem, diktiertem Ton: ›Wozu diese Zeichen äußerer Ehrerbietung, da sie doch nicht aus dem Herzen kommen?‹
    ›Gnädigste Frau Mutter, dies ist mir nicht bewußt.‹
    ›Nicht bewußt! Ist’s etwa anders um dich bestellt? Wie kommt’s, daß du nicht schon längst deinem Vater die Schande erspart, sein eigen Fleisch und Blut anflehen zu müssen –, ja die noch demütigendere Schande, dies vergeblich getan zu haben? Und ich, deine Mutter – ach, warum hast du mir diese Stunde der inneren Pein und der Schmach nicht erspart?‹ Und sie brach darüber in eine Tränenflut aus, darin meine Seele zu ertrinken drohte.
    ›Gnädigste Frau Mutter, was habe ich getan, um einen so tränenreichen Vorwurf zu verdienen? Mein Widerwille gegen das Klosterleben ist ja kein Verbrechen!‹
    ›Bei dir sehr wohl!‹
    ›Aber wie wäre es, teuerste Mutter, wenn mein Bruder vor die gleiche Wahl gestellt würde? Würde auch seine Ablehnung als ein Verbrechen gelten?‹
    Ich sagte dies beinahe ohne zu denken, es hatte sich mir bloß als ein Vergleich aufgedrängt, dem ich keinerlei verdeckte Bedeutung beimaß. Auch war ich nicht darauf gefaßt, daß eine solche mir ausgerechnet von meiner Mutter enthüllt werden könnte, abgesehen von gewissen Andeutungen einer durch nichts gerechtfertigten Parteilichkeit. Erst die folgenden Worte, welche sie in einem Ton sagte, der mir das Blut stocken machte,

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