Melmoth der Wanderer
durch die Stimme des Blutes bekehrt ward, und zwar in dem Augenblick, da seine eigene Mutter sich ihm zu Füßen warf, indem sie ausrief: ›Mein Sohn, ehe du die Straßen Roms zertrittst, mußt du erst den Körper jener zertreten, welche dich unter Schmerzen geboren!‹ Daraufhin ward er milde gestimmt und ließ von seinem Vorhaben ab.‹
›Ich entsinne mich dessen, doch zu welchem Zweck erzählt Ihr es?‹
›Zu diesem .‹ Und er schwang die Tür auf. ›Wohlan, nun erweise dich, wenn du dazu fähig bist, als noch verstockter denn jener Heide es war!‹
Sobald die Tür offenstand, erblickte ich meine Mutter, welche, mit dem Gesicht nach unten, vor der Schwelle ausgestreckt lag. Jetzt sagte sie mit erstickter Stimme: ›Nur zu – nun brich dein Gelübde –, doch führt der Weg zur Meineidigkeit nur über den Körper deiner Mutter.‹ Ich versuchte, sie aufzurichten, doch sie klammerte sich an den Boden und wiederholte ihre Worte. Und ihre herrliche Robe, welche den Steinboden mit juwelenbesetztem Samt überdeckte, bildete einen erschreckenden Kontrast zu ihrer Selbsterniedrigung sowie zu der Verzweiflung, welche ich in ihrem Blick gewahrte, als sie ihr Gesicht kurz zu mir erhob.
Ganz verstört vor Seelenpein und Entsetzen taumelte ich in die Arme des Pater Superior, welcher diesen Moment alsbald nutzte, indem er mich zur Kirche geleitete. Meine Mutter folgte uns auf dem Fuß, und die Zeremonie nahm ihren Lauf. Ich legte die Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams ab, und so war mein Los im Handumdrehen besiegelt.
Tag um Tag der folgenden Monate schlich dahin, und an keinen davon bewahre ich irgendwelche Erinnerung, noch möchte ich wünschen, sie zu bewahren. Eine tiefe Betäubung bemächtigte sich meiner Sinne und meiner Seele, doch war dies vielleicht noch der günstigste Zustand, um jenes Leben, zu welchem ich nunmehr verurteilt war, zu ertragen.
Meine geistesabwesende Ruhe mußte den Jesuiten auf die Dauer mißfallen. Sie versuchten, mich zur Parteinahme innerhalb der Parteiungen des Klosters zu verleiten, außerdem gaben sie mir einen erfahrenen Mönch bei, damit dieser mir auf meinen Spaziergängen Gesellschaft leistete.
Es war eine wunderbare Mondnacht, da er mich zum erstenmal begleitete. Neben einer steingefaßten Quelle ließ ich mich nieder – sie war von einer riesigen Pappel überschattet, ich sehe beides noch deutlich vor mir. Der Mönch trat herzu und setzte sich an meine Seite. Er begann, irgendwelche Gemeinplätze über die Vergänglichkeit des Menschenlebens von sich zu geben. Ich bewegte verneinend den Kopf, und er, mit einem Taktgefühl, wie man es bei den Jesuiten nicht selten antrifft, verstand sofort, daß dies nicht der rechte Anfang war. So wechselte er den Gegenstand, pries die Schönheit der Natur und knüpfte daran einige Bemerkungen über die kristallene Klarheit der Quelle. Ich pflichtete ihm bei, und er fügte hinzu: ›Ach, daß doch unser Leben so klar wie dieser Wasserlauf wäre!‹
Ich seufzte. ›Ach, daß das meine doch so grünen wollte, so fruchtbar wäre wie dieser Baum!‹
›Aber, mein Sohn, können denn die Quellen nicht versiegen und die Bäume nicht verdorren?‹
›So ist es, mein Vater, o ja, der Quell meines Lebens ward zum Versiegen gebracht, und der grünende Zweig meines Daseins ist nun entlaubt für immer.‹
Der Pater verbreitete sich nun über das, was er den Augenblick nannte, da Gottes Odem über meine Seele strich. Unsere Unterredung gewährte geraume Zeit, und ich lauschte dem Sprecher mit einer widerstrebenden und irgendwie aufsässigen Wachsamkeit, da ich mir unwillkürlich eingestehen mußte, daß er der einzige Mensch in diesem Gemäuer war, welcher mich weder vor der Ablegung meines Gelübdes noch auch danach nur mit der geringsten Zudringlichkeit belästigt hatte. Sein Wesen war untadelig, und er verrichtete seine religiösen Übungen so beispielhaft und pünktlich wie ich die meinen. Dennoch konnte ich zu ihm so wenig Zutrauen fassen wie zu irgendeinem menschlichen Wesen, hörte ihm aber geduldig zu, und diese meine Geduld muß von ungewöhnlichem Kummer getragen gewesen sein, weil er nach Ablauf einer vollen Stunde (ich hatte gar nicht bemerkt, daß unsere Unterredung sich weit über die gewöhnliche Zeit des Zubettgehens hinausgezogen hatte) seinen Ausspruch wiederholte: ›Mein lieber Sohn, du wirst dich an das Leben im Kloster schon gewöhnen.‹
›Niemals, mein Vater, nimmermehr – es wäre denn, diese Quelle
Weitere Kostenlose Bücher