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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Kirchenchor. Und da ich über eine wohltönende Stimme verfügte, der meine tiefe Traurigkeit eine besondere Ausdruckskraft verlieh, so versicherten mir diese Menschen – stets darauf bedacht, alles zu ihrem Vorteil zu nutzen, was sie selbst verherrlichen, ihre Opfer aber betrügen konnte –, in dieser meiner Stimme offenbare sich die göttliche Erleuchtung. Inmitten solcher zur Schau gestellten Geduld und Rücksichtnahme legte ich eine Undankbarkeit an den Tag, welche meinem ganzen Wesen durchaus zuwiderlief. Niemals schlug ich eines der Bücher auf, mit denen sie mich so bereitwillig versorgten, ich achtete nicht auf die Blütenpracht, womit sie mir tagtäglich die Zelle füllten, und das herrliche Portativ, welches sie mir hereinstellten, berührte ich mit keinem Finger, ungeachtet der Versuche, den Registern diesen oder jenen melancholischen Akkord zu entlocken. Und all denen, welche mich ermunterten, ich möge doch von meinen Talenten fürs Malen und Musizieren Gebrauch machen, gab ich mit der stets gleichbleibenden Empfindungslosigkeit zur Antwort: ›Man hat mich dazu bestimmt, ein Mönch zu werden.‹
    ›Aber, Bruder in Christo, die Liebe zu den Blumen, zur Musik und zu allem, was gottgefällig ist, dient auch den Menschen zum Gefallen. Übel dankst du dem Pater Superior seine Großmut.‹
    ›Dies mag sein.‹
    ›Müßtest du Gott nicht auf den Knien danken, für diese holden Werke seiner Schöpfung?‹ Meine Zelle quoll nämlich an eben dem Tag von Rosen und Nelken über. ›Auch solltest du Ihm danken für die Gaben, mit welchen Er dich über uns andere erhoben hat, damit du Sein Lob verkündest. Deine Stimme ist bei weitem volltönender und kraftvoller als irgendeine in der Kirche.‹
    ›Daran ist kein Zweifel.‹
    ›Brüder in Christo, du antwortest, als hörtest du mir gar nicht zu!‹
    ›Ich antworte so, wie mir ums Herz ist – doch soll dich dies nicht kümmern.‹
    ›Möchtest du dich nicht ein wenig im Garten ergehen?‹
    ›Wie es dir beliebt.‹
    ›Oder bedarfst du etwa des Zuspruchs durch deinen Oberen?‹
    ›Wie es dir beliebt.‹
    ›Weshalb sprichst du mit solcher Gleichgültigkeit? Gilt dir in einem Atem der Blumenduft soviel wie das Trostwort des Pater Superior?‹
    ›Dies könnte sein.‹
    ›Weshalb?‹
    ›Man hat mich dazu bestimmt, ein Mönch zu werden.‹
    Von jenem Abend an (ich weiß heute nicht mehr, welcher es gewesen war) wurde meine Freiheit merklich eingeschränkt. Es wurde nicht mehr länger gelitten, daß ich mich im Klostergarten erging, noch mich mit den Novizen oder Zöglingen unterhielt. Im Refektorium wurde mir ein eigener Tisch bereitet. Zur Messe blieben neben mir die Sitze leer. Doch wurde mir wie je die Zelle mit Blumen und Gravüren geschmückt, erlesenes Spielzeug stand auf meinem Tisch. Ich bemerkte nicht, daß ich als Narr galt, doch schien mein törichter, stets wiederholter Ausspruch dem Glauben meiner Gegner recht zu geben.
    Um eben jene Zeit wurde im Palast der Moncada ein Familienrat nach dem andern abgehalten, wie ich denn dazu gebracht werden könnte, wenigstens genug Verstand an den Tag zu legen, um die Gelübde zu leisten. Es scheint, die hochwürdigen Patres waren nicht minder darauf aus denn ihre alten Widersacher, die Mauren, den Wahnsinn für heilig zu erklären. So war nun eine Verschwörung gegen mich im Gange, die aufzuhalten es mehr als der Kraft eines Menschen bedurft hätte. Von all dem wußte ich so gut wie nichts, und war deshalb um so mehr verwundert, mich am letzten Abend meines Noviziats ins Sprechzimmer beordert zu hören.
    Dort waren mein Vater, die Mutter, deren Beichtiger sowie mehrere andere, mir unbekannte Personen versammelt. Gefaßten Blicks und ebensolchen Schrittes trat ich auf sie zu. Der Pater Superior nahm mich am Arm und führte mich mit sich in dem Zimmer umher, indem er sagte: ›Nun denn, mein Sohn –‹
    Ich schnitt ihm das Wort ab, indem ich fragte: ›Wozu ist das alles veranstaltet worden?‹ Seine Antwort bestand darin, daß er den Finger an die Lippen legte und den Wunsch äußerte, ich möge doch meine Zeichnungen herzeigen. Ich brachte diese herbei, ließ mich aufs Knie nieder und hielt sie zunächst meiner Mutter, danach meinem Vater entgegen. Sämtliche Blätter stellten Klöster und Gefängnisse dar.
    Meine Mutter wandte den Blick davon ab –, und mein Vater sagte, indem er die Arbeiten beiseite schob: ›Davon verstehe ich zu wenig.‹
    »Unzweifelhaft habt ihr aber etwas für die Musik übrig‹,

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