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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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sagte der Pater Superior. ›Ihr solltet sein Spiel hören.‹
    Ein kleines Portativ befand sich in dem angrenzenden Gemach. Meiner Mutter wurde freilich verwehrt, dort einzutreten, der Vater aber folgte uns, um dem Spiel zu lauschen. Unwillkürlich wählte ich eine Passage aus der ›Opferung des Jephta‹. Dies griff meinem Vater dermaßen ans Herz, daß er mich aufhören hieß. Der Pater Superior schrieb solche Rührung nicht nur meinem Talent zu, sondern erblickte in ihr auch die Anerkennung der Macht seiner Partei, weshalb er ohne Maß und Urteil zu applaudieren begann. Bis zu diesem Moment war mir überhaupt nicht zu Bewußtsein gekommen, daß ich der Gegenstand eines Parteienhaders innerhalb des Klostergemäuers sein könnte. Indes verhielt es sich so: Der Pater Superior war fest entschlossen, mich zu einem Jesuiten zu machen, und trat deshalb für meine geistige Gesundheit ein. Die Mönche hingegen wünschten sich einen handfesten Exorzismus, ein auto da fé oder eine ähnliche Lustbarkeit, um damit die Eintönigkeit des Klosterlebens ein wenig aufzulockern, weshalb sie darauf erpicht waren, ich möge bei meiner Vorführung verwirrt oder besessen sein, zumindest aber solchen Eindruck erwecken. Doch sollten derlei fromme Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Sobald man mich gerufen hatte, war ich erschienen, und da ich mich korrekt aufführte, wurde die Ablegung meiner Gelübde auf den folgenden Tag festgesetzt.
    Dieser folgende Tag – Ach! Wenn ich ihn nur recht zu schildern vermöchte! Doch das ist unmöglich. Jene tiefe Betäubung, in die ich verfallen war, ließ mich all die Einzelheiten gar nicht wahrnehmen, welche selbst den unbeteiligtesten Zuschauer befeuert hätten. Ich war so benommen, daß ich, obschon ich mich all der Ereignisse entsinne, dennoch nicht fähig bin, auch nur den leisesten Eindruck zu schildern, den sie auf mich ausgeübt haben. Zur Nacht fiel ich in einen tiefen Schlaf. Dann graute der Morgen – ich wußte gar wohl, was er mit sich brachte –, ich malte mir die ganze Szene im Geiste aus, und spürte, wie ein Schwall von Böswilligkeit, Verzweiflung und Gewaltsamkeit mich schrecklich überschwemmte. So sagte ich jenen, welche mir beizustehen kamen: ›Nun kleidet ihr mich als Opfer ein, doch liegt’s in meiner Hand, die Opferer zu Opfern zu machen.‹ Dabei schlug ich eine Lache an. Dies Gelächter erschreckte alle, die mich umgaben, sie fuhren zurück und liefen zum Pater Superior, um ihm meinen Zustand zu schildern. Dieser kam eilends herbei.
    ›Mein Sohn, was hat dies alles zu bedeuten?‹
    ›Nichts, mein Vater – nichts, als daß mir ein plötzlicher Einfall gekommen ist.‹
    ›So wollen wir ein andermal darüber sprechen, mein Sohn. Jetzt aber –‹
    ›Jetzt aber‹ , wiederholte ich und schlug erneut eine Lache an, welche dem Superior ohrenzerreißend klingen mochte, jetzt aber habe ich bloß einen Gegenvorschlag zu machen: laßt doch den Vater und den Bruder meinen Platz einnehmen. Ich verwahre mich gegen die Gelübde – laßt jene, welche sie mir aufzwingen wollen, die Schuld auf sich selbst nehmen, laßt meinen Vater in eigener Person seine Schuld wiedergutmachen, indem er mich der Welt zurückgibt, laßt doch meinen Bruder seinen Hochmut opfern, weshalb soll ich das einzige Opfer von der einen Verbrechen und des anderen Leidenschaft sein?‹
    ›Mein Sohn, dies alles ist längst beschlossen.‹
    ›Ja, ja ich weiß – ich weiß es nur zu gut, daß ich durch des Allmächtigen Ratschluß dazu bestimmt ward, noch im Mutterleib verflucht zu sein! Doch werde ich nie und nimmer den Fluch mit eigner Hand auch unterzeichnen.‹
    Ich setzte mich, verschränkte die Arme über der Brust und stand von jeder weiteren Antwort ab. Der Pater Superior verharrte stehend, mit gekreuzten Armen und geneigtem Haupt, ganz in der Haltung tiefer und demütiger Kontemplation. Schließlich verließ er die Zelle, trat aber nach wenigen Augenblicken wieder ein. Er hielt die Tür halb offen, und der erste Satz, den er sprach, erfüllte mich mit Erstaunen: ›Mein Sohn‹, so sagte er, ›du kennst ja wohl die klassischen Geschichten.‹
    ›Aber was hat diese Frage mit mir zu schaffen, mein Vater?‹
    ›Dann entsinnst du dich sicherlich auch jener bemerkenswerten, darin ein römischer Feldherr von den Stufen seines Tribunats herab alles mit Füßen trat: das Volk, die Senatoren und die Priester . Auch das Recht trat er nieder – schändete alle Religion, darin also jener Feldherr zuletzt

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