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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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versiegte, dieser Baum verdorrte noch vor Morgengrauen!‹
    ›Mein Sohn, Gott hat schon größere Wunder bewirkt, um eine Seele zu retten.‹
    Wir erhoben uns, und ich begab mich in meine Zelle. Ich weiß nicht, womit er und die anderen danach befaßt waren, doch noch vor der Matutin erhob sich solch ein Tumult in dem Kloster, daß man hätte meinen mögen ganz Madrid stünde in Flammen. Zöglinge, Novizen und Mönche, alles hastete von Zelle zu Zelle, lief treppauf und treppab, polterte die Korridore entlang, unbehindert und zügellos, die ganze klösterliche Ordnung schien am Ende. Keine Glocke ward angeschlagen, keine Ermahnung zur Ruhe hörbar. Die Stimme der Obrigkeit schien für immer mit dem Geschrei des Aufruhrs verschmolzen. Von meinem Fenster aus konnte ich die Klosterinsassen draußen im Garten nach allen Richtungen durcheinanderlaufen sehen, wobei sie einander um den Hals fielen, Freudenschreie ausstießen, Gebete herleierten, die Rosenkranzperlen durch die zitternden Finger gleiten ließen und die Augen verzückt gen Himmel richteten. Klösterliche Ausgelassenheit hat etwas Gespenstisches, Unnatürliches, ja Beängstigendes an sich.
    Mir schwante sofort Unheil, doch ich sagte mir nur: ›Das Schlimmste ist überstanden, Ärgeres, als mich zu einem Mönch zu machen, können sie mir nimmer antun.‹ Doch ich sollte nicht lange im Zweifel sein. Viele Schritte näherten sich meiner Zelle, und zahlreiche Stimmen wiederholten ständig: ›Eile, lieber Bruder in Christo, eile hinunter in den Garten!‹ Mir blieb keine andere Wahl: sie umringten mich und trugen mich nahezu auf Händen hinunter.
    Man führte, ja drängte mich zu jenem Platz hin, an welchem ich den vergangenen Abend so lange im Gespräch verweilt hatte. Die Quelle war versiegt, und der Baum war verdorrt! Sprachlos vor Staunen stand ich davor, während jedermann rundum in beständiger Wiederholung ausrief: ›Ein Wunder! Ein Wunder! – Der HErr selbst hat mit eigener Hand deine Berufung besiegelt!‹
    Der Pater Superior bedeutete allen zu schweigen. Dann wandte er sich mit ruhiger Stimme an mich: ›Mein Sohn, nichts ist von dir gefordert, als deinen Augen zu trauen. Willst du lieber seine Sinne Lügen strafen, denn an Gott zu glauben? So wirf dich zu Boden, hier und jetzt und danke ihm, danke ihm durch einen öffentlichen und feierlichen Akt des Glaubens für Seine übergroße Gnade, welche nicht davor zurückgescheut, in Ansehung deiner Errettung solches Wunder zu wirken.‹
    Mehr überrascht als betroffen von dem, was ich erblickte, ließ ich mich nach den Worten des Superior im Angesicht aller auf die Knie fallen. Ich faltete die Hände und sagte mit vernehmlicher Stimme: ›Mein Herr und Gott, solltest Du Dich wirklich herbeigelassen haben, dieses Wunder um meinetwillen zu bewirken, so wirst Du mich unzweifelhaft auch der Gnade teilhaftig werden lassen, solches Wunder ganz verstehen und richtig würdigen zu können. Mein Geist ist verdunkelt, Du aber kannst ihn erhellen. Mein Herz ist verhärtet, doch steht es gewiß in Deiner Allmacht, es zum Gehorsam zu rühren. Ein Zeichen von Dir in diesem Augenblick, ein geflüstertes Wort, das bis in mein Innerstes dränge, wäre Deiner Gnade nicht minder würdig als dies Zeichen an der unbeseelten Natur, welches nur meine Sinne verwirrt.‹
    Der Pater Superior unterbrach meine Rede, indem er sagte: ›Halt ein, dies sind nicht die Worte, welche du gebrauchen solltest! Noch dein Glaube kommt aus der Ungläubigkeit, und dein Gebet spottet der Gnade, welche anzuflehen es vorgibt.‹
    ›Mein Vater, sprecht mir vor, was immer ich nachsprechen soll, und ich will es tun. Und bin ich auch nicht überzeugt, so bin ich doch gewillt, mich zu unterwerfen.‹
    ›So erbitte denn die Vergebung der Bruderschaft für die Beleidigung, welche du ihr durch deine wortlose Anflehung gegen ein Leben in Gott zugefügt hast.‹ Und ich tat nach seinen Worten. ›Und weiter: danke der Bruderschaft für all die Freude, welche sie an den Tag gelegt um der wundervollen Bestätigung deiner Berufung willen.‹
    Und ich tat nach seinen Worten. ›Auch dem HErrn sollst du deine Dankbarkeit erweisen, da Er doch so sichtbar hervorgetreten ist und seine übernatürliche Macht offenbart hat, zur Erweisung Seiner Gnade nicht minder denn zur ewigen Ehre dieses Hauses, welches Er durch Seinen Ratschluß mit dem Strahlenkranze des Mirakels vor allen anderen ausgezeichnet hat.‹
    Nach einigem Zögern fragte ich: ›Mein Vater, ist es mir

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