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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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gewährt, dieses Gebet nur bei mir zu sprechen?‹
    Auch der Pater Superior besann sich. Doch mochte er zu dem Schluß gekommen sein, man sollte die Dinge lieber nicht zu weit treiben, denn er sagte nach einiger Zeit: ›Wenn du meinst.‹
    Sobald ich mich wieder erhoben hatte, wurde ich nahezu von der halben Bruderschaft in die Arme geschlossen. Manche von ihnen brachten tatsächlich ein paar Tränen zustande, die nun freilich allem anderen entsprangen, nur nicht einem aufrichtigen Herzen. Doch die erheuchelte Freude erniedrigte den Betrogenen nicht minder denn der erheuchelte Kummer den Betrüger. So verging denn der folgende Tag wie eine einzige, große Schwelgerei. Die Andachtsübungen wurden aufs nötigste beschränkt, die Mahlzeiten durch Zuckerwerk versüßt, jedermann ward es gestattet, auch ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Pater Superior nach Belieben in den Zellen Besuche zu machen. Der Pater Superior aber schloß sich den halben Tag lang mit zwei verschwiegenen Fratres, wie sie bezeichnet wurden, in seine Zelle ein (will sagen mit Männern, welche er wegen ihrer altersbedingten Geistesschwäche sich zu Helfern gewählt hatte), um sich den Bericht über das Wunder, mit dessen Ausarbeitung er befaßt war, von ihnen beglaubigen zu lassen, damit die Kunde davon alsbald in den wichtigsten Klöstern Spaniens verbreitet werde. Für Madrid erübrigte sich dies, da man ja hier von dem wunderbaren Geschehen schon eine Stunde nach dessen Ereignung Kenntnis hatte, oder – wie boshafte Zungen behaupteten – schon eine Stunde zuvor .
    Ich muß bekennen, daß die aufgeregte Freudigkeit jenes Tages, anders als alles, was ich bisher im Kloster mitangesehen hatte, eine unbeschreibliche Wirkung auf mich ausübte. Ich wurde geherzt und gekost, zum Mittelpunkt der Festlichkeiten gemacht (denen stets etwas Absurdes, Unnatürliches anhaftet), ja es fehlte nicht viel, und man hätte mich vergöttert. So gab ich mich denn ganz dem vergiftenden Zauber solchen Tages hin und glaubte während einiger Stunden wahrhaftig, der Auserwählte Gottes zu sein. Das ging so weit, daß ich selbst mir zahllose Schmeicheleien zu sagen begann. Dies Verbrechen, sofern man meine Selbsttäuschung als solches bezeichnen will, sollte ich nur indes zu bald büßen. Schon wenige Tage später war alles wieder in seine gewohnte Ordnung gebracht und mir auf diese Weise klargemacht, wie solche klösterliche Gemeinschaft von einem Moment zum nächsten aus dem Extrem der Unordnung in jenes andere der geistlichen Observanz zurückgeführt werden kann.
    Es war nämlich ein Mönch dabei ertappt worden, wie er nach der gestatteten Zeit die Zelle seines Nachbarn aufsuchte, um ein entliehenes Buch zurückzugeben. Als Strafe für solches Verbrechen wurde ihm auferlegt, drei Tage lang unseren Mahlzeiten barfüßig und mit aufgeschlagener Kutte auf dem Steinboden des Refektoriums sitzend beizuwohnen. Am zweiten Tag entdeckte man, daß irgendeine barmherzige Hand ihm eine kleine Sitzmatte unterschoben hatte. Alsbald erhob sich allgemeiner Aufruhr im Refektorium. Dabei laborierte der arme Teufel an einem Leiden, welches ihm das entblößte Sitzen, ja schon das Kauern auf dem kalten Steinboden ärger als den Tod machte. Unverzüglich wurde eine Untersuchung eingeleitet. Ein Jüngling, der mir bislang nicht aufgefallen war, erhob sich vom Eßtisch, warf sich vor dem Pater Superior auf die Knie und bekannte seine Schuld. Dieser zog sich mit einigen bejahrten Mönchen zurück, um mit ihnen zu beraten.
    Das Ergebnis war, daß der Missetäter sich einer schweren Demütigung und Bestrafung zu unterziehen habe. Dies Urteil wurde ihm mitgeteilt, und er unterwarf sich demselben. Sodann entblößte er seine Schultern und wurde gegeißelt, bis das Blut in Strömen an ihm herniederrann. Nachdem er schon glaubte, alles überstanden zu haben, wurde er zurück in seine Zelle geschickt. Doch die Mönche waren noch nicht zufrieden. So lag der Gezüchtigte kaum im Bett, da umstanden sie ihn schon wieder – und begannen ihn mit so rasender Wut zu geißeln, daß er sich schließlich halb wahnsinnig vor Schmerz, von ihnen losriß, aus der Zelle stürzte und den Korridor entlanglief, wobei er lauthals um Hilfe und um Gnade schrie.
    Es war zur Vigilie des Heiligen Johannes, und ich war zu etwas beordert worden, was man in den Klöstern die Stunde der inneren Sammlung nennt. Diese Stunde ist in der Kirche zu verbringen. Auf meinem Rückweg durch den Korridor vernahm ich plötzlich ein so

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